Auf nächtlicher Erkundungstour – Schlafwandeln

 

Man steht nachts auf, streift durch die Wohnung, legt sich wieder schlafen – und beharrt am nächsten Morgen darauf, das Bett nicht verlassen zu haben geschweige denn wach gewesen zu sein. Wie ist aber vorzugehen, wenn man tatsächlich beim Schlafwandeln beobachtet wird, und warum kommt es überhaupt zu unbewussten abenteuerlichen Ausflügen zu später Stunde?

Schlaf bedeutet für uns und unseren Körper sowie für die Psyche Erholung und Regeneration. Doch nicht immer empfinden wir die nächtliche Ruhe als angenehm: Manchmal drehen wir uns im Bett umher, sehen ständig auf die Uhr oder wachen häufig auf. Die etwa 100 bekannten Schlafstörungen1 umfassen dabei jedoch nicht nur anhaltende Probleme des Ein- und Durchschlafens, sondern beispielsweise auch solche, bei welchen es zu Unterbrechungen des Schlafprozesses kommt und die beim (teilweisen) Aufwachen oder während der Schlafstadien auftreten.2 Zu dieser Gruppe der Schlafstörungen – der Parasomnie – zählt unter anderem das Schlafwandeln (auch Somnambulismus genannt).3

Trotz des Schlafens in Bewegung

Bei dieser Art der Schlafstörung bewegen sich Betroffene während des Schlafens und führen Handlungen aus, als ob sie wach wären. Dabei setzen sie sich im Bett auf und wirken desorientiert, blicken schweigend umher oder sagen bzw. rufen etwas und legen sich sodann wieder hin. Häufig verlassen sie das Bett, stehen auf und wandern in der Wohnung, manchmal auch im Freien herum. Einige verrichten sogar Tätigkeiten, indem sie beispielsweise aufräumen, kochen oder putzen. Andere wiederum verspeisen Lebensmittel, welche sie im Kühlschrank vorfinden (genauso rohe Produkte), hin und wieder ebenso Dinge, die nicht essbar sind, beispielsweise Seife.4 Ein wichtiges Kennzeichen des Schlafwandelns ist Folgendes: „Schlafwandler selbst sind sich ihrer nächtlichen Ausflüge nicht bewusst und können sich am nächsten Morgen nicht daran erinnern“5, weiß Thomas Penzel, wissenschaftlicher Leiter des Interdisziplinären Schlafmedizinischen Zentrums der Berliner Charité.

Das nächtliche Schlafwandeln dauert meist nur wenige Minuten, kann aber auch bis zu einer Stunde anhalten. Ursache dafür sind trotz des Schlafens aktive Teile des Gehirns: „Was man sicher weiß ist, dass es sich um eine inkomplette Aufwachreaktion handelt“6, wie die Innsbrucker Schlafexpertin Birgit Högl erklärt. Betroffene befinden sich im Tiefschlaf und können deswegen etwaige Aktivitäten nicht planen geschweige denn sich an die Schlafwandel-Episode erinnern, da sie unbewusst vonstattengehen und überdies nicht auf einen Traum zurückzuführen sind; das Gehirn ist dabei jedoch ausreichend ‚wach‘, sodass sie sich bewegen oder sprechen können.7

Risikogruppen und mögliche Ursachen für somnambule Handlungen

Ausgegangen wird davon, dass Schlafwandeln mit einem verzögerten Reifegrad des Zentralen Nervensystems zusammenhängt,8 weswegen diese Art der Parasomnie vor allem Kinder betrifft: „20 bis 30 Prozent sind mindestens einmal in ihrem Leben davon betroffen“9, so Högl. „Das ist aber in aller Regel weiter nicht gefährlich und wächst sich mit der Zeit aus“10, wie Penzel ergänzt.

Hält das Schlafwandeln allerdings bis ins Erwachsenenalter an oder tritt es erst in dieser Lebensphase auf, sollte schnellstmöglich fachärztliche Hilfe aufgesucht werden, da die Störung auf eine Erkrankung des Gehirns hindeuten könnte, beispielsweise Epilepsie, eine psychische Krankheit oder Hirnerkrankungen im Allgemeinen.11 Weitere Faktoren, die das Schlafwandeln begünstigen können, sind familiäre Veranlagung, Stress, seelische Belastungen oder generell Schlafmangel. Auch Lichtreize, übermäßiger Alkoholkonsum, laute Geräusche oder Fieber, Schmerzen sowie Harndrang könnten Auslöser sein.12 Nicht zuletzt wird angenommen, dass das Schlafwandeln eine Nebenwirkung von manchen Psychopharmaka sein kann.13

Die Wohnung dingfest machen

Da das Schlafwandeln, wie bereits angemerkt, gemäß Expert*innen bei Kindern in der Regel nicht besorgniserregend ist und zumeist in der Pubertät wieder von selbst verschwindet, wird Angehörigen von Schlafwandler*innen zunächst empfohlen, die Umgebung zu sichern, um mögliche Verletzungsrisiken für die/den Betroffene*n zu reduzieren bzw. zu vermeiden:14

  • Stiegen sichern,
  • Türen und Fenster verschließen,
  • scharfe oder generell gefährliche Gegenstände wegräumen,
  • Stolperelemente am Fußboden entfernen,
  • Ecken und Kanten in der Wohnung mit Schutzkappen ausstatten,
  • Schlüssel sicher aufbewahren.

In vielen Fällen sind solche Vorkehrungen zum Schutz der/des Betroffenen bereits ausreichend, denn“ [k]omplexe Handlungsabläufe gehören nicht in das Programm eines Schlafwandlers“15, wie Högl beruhigt. Dennoch sollte darauf geachtet werden, dass die/der Schlafwandler*in die sichere Umgebung nicht verlassen kann. Obwohl in äußerst seltenen Fällen gefährliche Handlungen wie Autofahren ausgeführt werden, so sollte der Bewegungsradius so weit wie möglich eingeschränkt werden.16

Von besonderer Wichtigkeit ist es, die/den Schlafwandelnde*n nicht aufzuwecken oder lauter anzusprechen. Dadurch kann sich die betroffene Person womöglich erschrecken oder panisch und aggressiv werden, sich wehren und in weiterer Folge sich selbst und andere verletzen. Empfohlen wird, dass die/der Schlafwandler*in vorsichtig ins Bett zurückgeführt wird, denn sie/er schläft in der Regel schnell wieder ruhig ein bzw. weiter.17

Behandlungsmöglichkeiten bei Somnambulismus

Nicht immer wird das Schlafwandeln von Kindern therapeutisch behandelt, es sei denn, mögliche Ursachen wie psychische Belastungen können nicht ausgeschlossen werden. Wenn entsprechende Probleme vorliegen, wird dazu geraten, die/den Hausärzt*in aufzusuchen, um nach einem Gespräch die passende Unterstützung zu wählen. Dies können Psychotherapeut*innen oder klinische Psycholog*innen sein, aber auch Fachärzt*innen für Neurologie, Psychiatrie, für Kinder- und Jugendheilkunde oder Kinder- und Jugendpsychiatrie. Zu den weiteren Anlaufstellen zählt die Ambulanz für Schlafmedizin.18

Sollte das Kind jedoch nicht unter seelischen Belastungen leiden, so wird neben den oben angeführten Maßnahmen zum Schutz von Schlafwandler*innen zudem empfohlen, auf eine richtige Schlafhygiene mit regelmäßigen Schlafenszeiten und entsprechenden Ritualen zu achten. Auch schwere Mahlzeiten oder aktivierende Tätigkeiten wie Fernsehen verhindern eine gute Nachtruhe.19

Obwohl nächtliches Schlafwandeln im Normalfall nicht besorgniserregend ist, sollten doch Vorkehrungen getroffen werden, damit sich die/der Betroffene nicht verletzt. Kommt es durch die Schlafstörung allerdings zu massiven Einschränkungen, wird eine psychische Belastung vermutet oder hält das Schlafwandeln bis ins Erwachsenenalter an, so sollte doch ärztliche Hilfe in Anspruch genommen werden, um ernsthafte Erkrankungen ausschließen zu können. Erst wenn möglichen Ursachen, die einer Behandlung bedürfen, auf den Grund gegangen wird, kann diese Art der Parasomnie entsprechend bekämpft werden, um zukünftig wieder erholsam zu schlafen – ohne nächtliche Erkundungstour und den damit einhergehenden Risiken.

 


1 Vgl. Fleischer, Marie-Thérèse: Schlafstörungen. In: minimed.at. Veröffentlicht am 04.06.2014.
URL: https://www.minimed.at/medizinische-themen/gehirn-nerven/schlafstoerungen/ [Stand: 13.01.2022].

2 Vgl. Rehwald, Felix: Schlafwandeln ist gefährlicher als gedacht. In: welt.de. Veröffentlicht am 04.08.2010.
URL: https://www.welt.de/gesundheit/article8813383/Schlafwandeln-ist-gefaehrlicher-als-gedacht.html [Stand: 13.01.2022].

3 Vgl. D.R.: Lexikon der Psychologie – Somnambulismus. In: spektrum.de.
URL: https://www.spektrum.de/lexikon/psychologie/somnambulismus/14454 [Stand: 13.01.2022].

4 Vgl. Küster, Yvonne: Schlafwandeln. In: focus-arztsuche.de. Veröffentlicht am 09.12.2019.
URL: https://focus-arztsuche.de/magazin/krankheiten/psychische-erkrankungen/schlafwandeln-ursachen-und-schlafwandler-wecken [Stand: 13.01.2022].

5 dpa / tmn: Was hinter dem Schlafwandeln steckt. In: süeddeutsche.de. Veröffentlicht am 02.06.2021.
URL: https://www.sueddeutsche.de/gesundheit/gesundheit-was-hinter-dem-schlafwandeln-steckt-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-210601-99-817814 [Stand: 13.01.2022].

6 Philipp, Regina: Denn sie wissen nicht, was sie tun. In: derstandard.at. Veröffentlicht am 17.09.2009.
URL: https://www.derstandard.at/story/1252036866950/genauer-betrachtet-denn-sie-wissen-nicht-was-sie-tun [Stand: 13.01.2022].

7 Vgl. Öffentliches Gesundheitsportal Österreichs: Schlafwandeln. Aktualisiert am 04.11.2021.
URL: https://www.gesundheit.gv.at/krankheiten/gehirn-nerven/schlafstoerungen/schlafwandeln [Stand: 13.01.2022].

8 Vgl. Küster, Yvonne: Schlafwandeln.
URL: https://focus-arztsuche.de/magazin/krankheiten/psychische-erkrankungen/schlafwandeln-ursachen-und-schlafwandler-wecken [Stand: 13.01.2022].

9 Koxeder, Birgit: Somnambulismus: Schlafwandeln. In: meinegesundheit.at. Veröffentlicht im Juli 2009.
URL: https://www.meinegesundheit.at/cdscontent/?contentid=10007.689418&portal=meinegesundheitportal [Stand: 13.01.2022].

10 dpa / tmn: Was hinter dem Schlafwandeln steckt.
URL: https://www.sueddeutsche.de/gesundheit/gesundheit-was-hinter-dem-schlafwandeln-steckt-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-210601-99-817814 [Stand: 13.01.2022].

11 Vgl. Küster, Yvonne: Schlafwandeln.
URL: https://focus-arztsuche.de/magazin/krankheiten/psychische-erkrankungen/schlafwandeln-ursachen-und-schlafwandler-wecken [Stand: 13.01.2022].

12 Vgl. Küster, Yvonne: Schlafwandeln.
URL: https://focus-arztsuche.de/magazin/krankheiten/psychische-erkrankungen/schlafwandeln-ursachen-und-schlafwandler-wecken [Stand: 13.01.2022].

13 Vgl. Rehwald, Felix: Schlafwandeln ist gefährlicher als gedacht.
URL: https://www.welt.de/gesundheit/article8813383/Schlafwandeln-ist-gefaehrlicher-als-gedacht.html [Stand: 13.01.2022].

14 Vgl. Öffentliches Gesundheitsportal Österreichs: Schlafwandeln.
URL: https://www.gesundheit.gv.at/krankheiten/gehirn-nerven/schlafstoerungen/schlafwandeln [Stand: 13.01.2022].

15 Philipp, Regina: Denn sie wissen nicht, was sie tun. In: derstandard.at. Veröffentlicht am 17.09.2009.
URL: https://www.derstandard.at/story/1252036866950/genauer-betrachtet-denn-sie-wissen-nicht-was-sie-tun [Stand: 13.01.2022].

16 Vgl. Öffentliches Gesundheitsportal Österreichs: Schlafwandeln.
URL: https://www.gesundheit.gv.at/krankheiten/gehirn-nerven/schlafstoerungen/schlafwandeln [Stand: 13.01.2022].

17 Vgl. Küster, Yvonne: Schlafwandeln.
URL: https://focus-arztsuche.de/magazin/krankheiten/psychische-erkrankungen/schlafwandeln-ursachen-und-schlafwandler-wecken [Stand: 13.01.2022].

18 Vgl. Öffentliches Gesundheitsportal Österreichs: Schlafwandeln.
URL: https://www.gesundheit.gv.at/krankheiten/gehirn-nerven/schlafstoerungen/schlafwandeln [Stand: 13.01.2022].

19 Vgl. Koxeder, Birgit: Somnambulismus: Schlafwandeln.
URL: https://www.meinegesundheit.at/cdscontent/?contentid=10007.689418&portal=meinegesundheitportal [Stand: 13.01.2022] oder
vgl. Rehwald, Felix: Schlafwandeln ist gefährlicher als gedacht.
URL: https://www.welt.de/gesundheit/article8813383/Schlafwandeln-ist-gefaehrlicher-als-gedacht.html [Stand: 13.01.2022].
Lesen Sie außerdem mehr zum Thema Schlafhygiene in unserem Blogbeitrag „Wie man sich bettet …“ »» vom 11.08.2021.

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Veröffentlicht am: 09.02.2022