Workout fürs Gehirn

 

Um die kognitiven Fähigkeiten konstant auf hohem Niveau zu halten, benötigt das Gehirn ein Leben lang neue, unbekannte Reize. Doch wie bleibt man nun wirklich mental fit?

‚Wer rastet, der rostet‘ – so eine bekannte Weisheit, die vornehmlich als Sportmetapher gebraucht wird. Und wir wissen: Wenn wir unseren Körper nicht fordern, verringert sich unsere Fitnessleistung im Generellen und allgemeine physische Funktionen lassen im Laufe der Zeit mehr und mehr nach. Aber das ‚Rosten‘ kann dabei nicht nur auf unsere körperliche Leistungsfähigkeit bezogen werden, sondern auch auf unsere kognitive.

Kontinuierliches Gehirn-Jogging

Denn das Gehirn muss ständig – ein Leben lang – gefordert werden, damit es die bestmögliche Leistungsfähigkeit aufrechterhält und wir mit zunehmendem Alter nicht vergesslich werden oder schwerwiegende Krankheiten entwickeln. „Wenn man sich immer wieder in neue Aspekte einarbeitet, […] fordert man das Gedächtnis optimal“1, bekräftigt die an der Universität in New York tätige Altersforscherin Ursula Staudinger. Das Gehirn besitzt nämlich die Fähigkeit, bis ins hohe Alter fortwährend neue Nervenzellen zu bilden und diese in weiterer Folge miteinander zu verknüpfen.2 Und diesen Umstand sollte man sich schon während des Arbeitslebens bis über die Pension hinaus zunutze machen: Geht man auch dann noch anspruchsvollen Hobbys wie dem Musizieren oder dem Lesen nach und betreibt zudem regelmäßig Sport, wird das Gehirn bestmöglich gefordert, um Symptomen der Vergesslichkeit entgegenzuwirken.3

Das Vergessen als Krankheitsanzeichen

Zwar ist das Vergessen an sich zunächst einmal nicht bedenklich, denn in unserem Kurzzeitgedächtnis wird alles Wahrgenommene gespeichert, das dann dem Langzeitgedächtnis abrufbereit zur Verfügung steht. Allerdings ist ebendieser Speicher auch begrenzt. Somit ist es im Zuge des Älterwerdens nicht sogleich als unüblich bzw. krankhaft einzustufen, wenn man Dinge vergisst, denen nicht die volle Aufmerksamkeit geschenkt wird, beispielsweise das berühmte Entfallen eines Namens oder das Vergessen eines Termins.4 Was viele jedoch nicht wissen – Vergesslichkeit bzw. eine gestörte Gedächtnisleistung kann nicht nur ein mögliches Warnsignal für (beginnende) Demenz sein, sondern auch Anzeichen einer psychischen Erkrankung.

Wenn die Psyche der Gedächtnisleistung im Weg steht

So können Symptome, die einer Vergesslichkeit im Alter ähnlich sind, auf ein Frühstadium der Depression hinweisen. Des Weiteren sind Konzentrationsstörungen in Kombination mit Niedergeschlagenheit ebenso Merkmale dieser psychischen Krankheit, in Verbindung mit Schlafmangel, allgemeiner Überforderung, psychischer Belastung und starken Emotionen zudem Anzeichen eines Burn-out-Syndroms. Und all diese Symptome sollten nicht auf die leichte Schulter genommen werden – bei zunehmendem Voranschreiten der Vergesslichkeit bzw. bei Konzentrationsproblematik müssen die Symptome medizinisch vom*von der Hausarzt*Hausärztin abgeklärt werden.5

Doch Vergesslichkeit tritt nicht nur zusammen mit dem Burn-out-Syndrom bis hin zur Depression auf, sondern auch bei anderen psychischen Erkrankungen: So können verfälschte, lückenhafte oder gar fehlende Erinnerungen in Bezug auf einzelne Ereignisse auf eine posttraumatische Belastungsstörung oder auf eine dissoziative Störung hindeuten. Und Konzentrationsstörungen wie ständig wechselnde Ideen mit gleichzeitig wahrnehmbaren starken Stimmungsschwankungen können Merkmale einer Borderline-Störung sein oder im Rahmen einer manischen Phase auftreten.6 In all diesen Fällen ist es vonnöten, die*den Hausärztin*Hausarzt aufzusuchen, um die Symptome abzuklären und um gegebenenfalls an eine*n Psychotherapeut*in überwiesen zu werden.7

Die grauen Zellen müssen trainiert werden

Ob hinter einer nachlassenden Gedächtnisleistung nun eine Krankheit steckt oder nicht – damit die kognitiven Fähigkeiten im natürlichen Verlauf des Alterungsprozesses erst gar nicht nachlassen, gilt es deswegen, das Gehirn regelmäßig zu fordern. Entsprechende Trainingsphasen können bereits kleine Handlungen umfassen, beispielsweise das Brechen mit täglichen Routinen wie das Putzen der Zähne mit der ungeübten Hand. Auch das Lernen bzw. Merken von Telefonnummern, Vokabeln oder Einkaufslisten schult das Kurzzeitgedächtnis, ebenso das Lösen von mathematischen Aufgaben.8

Wovon Expert*innen eher abraten – das Wiederholen von den immer gleichen Denksportaufgaben: „Wer Sudokus macht, wird in Sudokus besser. Viel mehr folgt daraus aber nicht“9, betont der deutsche Neurowissenschaftler Hans Markowitsch. Dasselbe gilt für Kreuzworträtsel oder Denkspiele wie Scrabble, denn Untersuchungen ergaben, dass dabei weder eine Steigerung der Merk- oder Problemlösungsfähigkeit messbar noch den allgemeinen Abbauprozessen des Gehirns entgegengewirkt wird.10

Was tatsächlich bei der langfristigen Aufrechterhaltung der vollen Gedächtnisleistung hilft? Neben der Ausübung von anspruchsvollen Hobbys sind auch die folgenden Tipps im Alltag gut umsetzbar:11

  • Eine Sprache und Vokabeln lernen
    Dabei wird das Gehirn stark gefordert, vor allem weil hierbei keine Automatismen gefördert, sondern komplexe Denkaufgaben bewältigt werden müssen.
  • Training von beiden Körperhälften
    Wie bereits erwähnt sollten beide Körperhälften regelmäßig trainiert werden, womit man Alltagsroutinen unterbricht. Indem wir die Wohnung mit der ungeübten Hand putzen oder saugen oder wenn wir Türen mit der ungeübten Hand schließen, werden andere Gehirnregionen als üblich angesprochen.
  • Regelmäßige sportliche Betätigung
    Denn vor allem Ausdauersportarten wie Laufen, Walken, Schwimmen oder Radfahren steigern den Blutdruck, Puls und die Atemfrequenz, wodurch der Blutfluss im Gehirn erhöht und dieses so ausreichend mit Sauerstoff und Glucose versorgt wird. Und Studien belegen – die kognitive Leistungsfähigkeit steigert sich dadurch effektiv.
  • Soziale Kontakte pflegen
    Auch regelmäßige soziale Interaktion beugt dem Nachlassen der Gedächtnisleistung vor bzw. dient als Schutzmechanismus vor Gedächtnisstörungen im Zuge von Einsamkeit, denn Studien haben mehrfach aufgezeigt, dass der Mangel an Kontakten zu anderen Menschen den Schwund der grauen Hirnsubstanz begünstigt und damit das Demenzrisiko erhöht wird, nämlich um ca. 26 %.

Deutlich wird, dass die Abwechslung dem Gehirn guttut – es einerseits fordern, indem es mit neuen Informationen angereichert und dadurch trainiert wird, andererseits aber auch die kognitiven Fähigkeiten durch ausreichend Sport und Bewegung sowie durch den Austausch mit den Mitmenschen fördern. Wird jedoch eine Einschränkung der mentalen Fitness festgestellt und verschlimmert sich diese nach und nach, empfiehlt es sich jedenfalls, eine*n Arzt*Ärztin aufzusuchen, um die Ursache hierfür festzustellen, denn psychische Erkrankungen sind häufig dafür verantwortlich, dass die Gedächtnisleistung auf bestimmte Art und Weise eingeschränkt ist. Im Generellen gilt jedoch, das Gehirn stetig und bis ins hohe Alter auf Trab zu halten, um so lange wie möglich mental fit zu bleiben.

 


1 Otto, Anne: Wer verblödet, ist selbst schuld. In: spiegel.de. Veröffentlicht am 09.03.2018.
URL: https://www.spiegel.de/spiegel/gedaechtnistraining-wer-verbloedet-ist-selbst-schuld-a-1141021.html [Stand: 13.06.2023].

2 Vgl. o.A.: Gedächtnistraining: Wie Senioren geistig fit bleiben. In: ndr.de. Veröffentlicht am 05.10.2021.
URL: https://www.ndr.de/ratgeber/gesundheit/Gedaechtnistraining-Wie-Senioren-geistig-fit-bleiben,gehirntraining102.html [Stand: 13.06.2023].

3 Vgl. gs: Sieben Hobbys, die gut für unser Gehirn sind: In: fr. de. Veröffentlicht am 27.12.2016.
URL: https://www.fr.de/ratgeber/karriere/sieben-hobbys-unser-gehirn-sind-11162817.html [Stand: 13.06.2023].

4 Vgl. Neubauer, Katrin: Nur vergesslich? Oder schon dement? In: spiegel.de. Veröffentlicht am 28.04.2014.
URL: https://www.spiegel.de/gesundheit/diagnose/vergesslichkeit-wann-beginnt-die-demenz-a-966483.html [Stand: 13.06.2023] und
vgl. Schäffler, Arne / Strasser-Vogel, Brigitte: Vergesslichkeit, Gedächtnis- und Konzentrationsstörungen. In: apotheken.de. Aktualisiert am 13.04.2023.
URL: https://www.apotheken.de/symptome/13132-vergesslichkeit-gedaechtnis-und-konzentrationsstoerungen [Stand: 13.06.2023].

5 Vgl. Schäffler, Arne / Strasser-Vogel, Brigitte: Vergesslichkeit, Gedächtnis- und Konzentrationsstörungen.
URL: https://www.apotheken.de/symptome/13132-vergesslichkeit-gedaechtnis-und-konzentrationsstoerungen [Stand: 13.06.2023].

6 Vgl. Schäffler, Arne / Strasser-Vogel, Brigitte: Vergesslichkeit, Gedächtnis- und Konzentrationsstörungen.
URL: https://www.apotheken.de/symptome/13132-vergesslichkeit-gedaechtnis-und-konzentrationsstoerungen [Stand: 13.06.2023].

7 Vgl. Vgl. Schäffler, Arne / Strasser-Vogel, Brigitte: Vergesslichkeit, Gedächtnis- und Konzentrationsstörungen.
URL: https://www.apotheken.de/symptome/13132-vergesslichkeit-gedaechtnis-und-konzentrationsstoerungen [Stand: 13.06.2023].

8 Vgl. Befuss, Tanja: Kurzzeitgedächtnis trainieren: Übungen und Tipps. In: praxistipps.focus.de. Veröffentlicht am 20.04.2023.
URL: https://praxistipps.focus.de/kurzzeitgedaechtnis-trainieren-uebungen-und-tipps_159838 [Stand: 13.06.2023].

9 Otto, Anne: Wer verblödet, ist selbst schuld.
URL: https://www.spiegel.de/spiegel/gedaechtnistraining-wer-verbloedet-ist-selbst-schuld-a-1141021.html [Stand: 13.06.2023].

10 Vgl. Otto, Anne: Wer verblödet, ist selbst schuld.
URL: https://www.spiegel.de/spiegel/gedaechtnistraining-wer-verbloedet-ist-selbst-schuld-a-1141021.html [Stand: 13.06.2023].

11 Vgl. Schäffler, Arne / Strasser-Vogel, Brigitte: Vergesslichkeit, Gedächtnis- und Konzentrationsstörungen.
URL: https://www.apotheken.de/symptome/13132-vergesslichkeit-gedaechtnis-und-konzentrationsstoerungen [Stand: 13.06.2023],
vgl. Befuss, Tanja: Kurzzeitgedächtnis trainieren: Übungen und Tipps.
URL: https://praxistipps.focus.de/kurzzeitgedaechtnis-trainieren-uebungen-und-tipps_159838 [Stand: 13.06.2023],
vgl. Otto, Anne: Wer verblödet, ist selbst schuld.
URL: https://www.spiegel.de/spiegel/gedaechtnistraining-wer-verbloedet-ist-selbst-schuld-a-1141021.html [Stand: 13.06.2023],
vgl. AOK: Mentale Fitness fördern. In: aok.de. Aktualisiert am 04.05.2023.
URL: https://www.aok.de/fk/betriebliche-gesundheit/psychische-gesundheit/mentale-fitness-foerdern/ [Stand: 13.06.2023] und
vgl. Podbregar, Nadja: Soziale Isolation erhöht späteres Demenzrisiko. In: scinexx.de. Veröffentlicht am 09.06.2022.
URL: https://www.scinexx.de/news/psychologie/soziale-isolation-erhoeht-spaeteres-demenzrisiko/ [Stand: 15.06.2023].

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Veröffentlicht am: 21.06.2023