UNERTRÄGLICH LAUT

 

Lärm gilt als wesentlicher Belastungsfaktor für uns Menschen, aber was genau stellt er wirklich mit Körper und Seele an?

Rund um die Uhr werden wir von Geräuschen und Signalen aller Art durch den Alltag begleitet. Manche davon wie das Zwitschern der Vögel empfinden wir als angenehm, andere wiederum nehmen wir als störend wahr, beispielsweise Verkehrs- oder Baulärm. Ebendiese negative Dauerbeschallung kann dabei stark am Nervenkostüm rütteln. Aber wann werden die umgebenden Geräusche zu Lärm, der sich schließlich auch psychisch manifestieren kann?

Akustische Dauerbelastung

Wenn wir etwas sehen, was uns nicht behagt, schließen wir einfach die Augen; ein Mechanismus, der auf unseren Hörsinn nicht anwendbar ist. Den ganzen Tag, von morgens bis abends, nehmen wir bewusst und unbewusst die Geräuschkulisse rund um uns herum wahr. Im hektischen Alltag sind es jedoch vor allem störende Geräusche, die uns im Gedächtnis bleiben – und die wir als Lärm einstufen: „Lärm ist unerwünschter Schall“1, so die einfache Definition des Psychologen und Lärmwirkungsforschers Jürgen Hellbrück. Obwohl der Richtwert, ab wann Schalldruck schädigend für unser Gehör sein kann, bei ca. 85 Dezibel liegt,2 können Geräusche, welche wir als unangenehm empfinden und die unsere Aufmerksamkeit und Konzentration erheblich beeinträchtigen, schon bei 30 bis 55 Dezibel negative Auswirkungen haben.3 Doch gibt es universelle Geräusche, die immer als störend empfunden werden?

Lärm als individuelle Definition

Michael Gutmann, Professor für Gesundheits- und Sportpsychologie an der Privaten Hochschule Göttingen, erklärt dazu, dass nicht nur der Schalldruck, wie eben erwähnt, ausschlaggebend dafür sei, was als Lärm wahrgenommen werde:4 „Ob ich Geräusche als schlimm erlebe, hat auch mit mir zu tun“5, wie er anmerkt. Der österreichische Psychoakustiker Bernhard Laback erläutert diesen Umstand anhand eines Beispiels genauer: „Schon sehr leise Geräusche können als Lärm empfunden werden, wenn man zum Beispiel den tropfenden Wasserhahn hernimmt. Das ist ein sehr geringer Schalldruckpegel, wenig Signal. Trotzdem kann das gerade in der Nacht als extrem störend empfunden werden“6. Und so kommt er nur zu einer Schlussfolgerung: „Die Einschätzung, was wir als Lärm empfinden, hängt ganz stark von der Einstellung des Betroffenen zum Signal ab“7. Für die einen ist der tropfende Wasserhahn beim Einschlafen nicht störend bzw. beeinträchtigend, während andere wiederum erst die Lärmquelle beseitigen müssen, um zur Ruhe kommen zu können. Und sollte das Einschlafen trotz des tropfenden Wasserhahnes gelingen – die Geräusche verfolgen uns dennoch im Schlaf.

Ununterbrochener Lärm als Krankmacher

Denn auch im vermeintlichen Ruhezustand – während wir schlafen – „wirkt Schall […] auf den Körper“8, so Laback. Gemäß der deutschen Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung sind bereits 30 Dezibel ausreichend, um die Schlafqualität negativ zu beeinträchtigen.9 Dabei schüttet der Körper unaufhörlich die Stresshormone Adrenalin, Noradrenalin und Cortisol aus, die den Blutdruck erhöhen, die Herzfrequenz steigern sowie die Blutgerinnung aktivieren.10 Demgemäß scheint es auch nicht verwunderlich, dass – wenn schon der Schlaf durch kleinste Geräusche gestört werden kann – deutlich wahrgenommener Lärm im Alltag über einen längeren Zeitraum gesundheitliche Schäden nach sich zieht: Neben Herz-Kreislauf-Erkrankungen wird das Immunsystem nachhaltig geschwächt und Allergien oder ein Tinnitus können die Folge sein.11 Aber auch die Psyche leidet massiv unter ständiger Lärmeinwirkung.

Lärm belastet das seelische Wohlbefinden

Schlafprobleme, Konzentrations- und Aufmerksamkeitsbeeinträchtigungen sowie anhaltend hohes Stressniveau – die eben erwähnten Auswirkungen von Lärm auf das psychische Wohlbefinden können noch weitreichender sein und zu schweren psychischen Erkrankungen führen. Insbesondere ununterbrochener Verkehrslärm – in Österreich sind gemäß der Europäischen Umweltagentur ca. 2,1 Millionen Menschen dauerhaft lautem Verkehrslärm ausgesetzt –12 führt laut einer Untersuchung zu einem erhöhten Risiko, an Depressionen und Angststörungen zu erkranken.13 Und die schlechte Nachricht – „[a]uch wenn das so mancher meint: An Lärm kann man sich nicht gewöhnen“14, wie Stefan Kääb, leitender Oberarzt der Medizinischen Klinik der Ludwig-Maximilians-Universität München, erklärt.

Angenehme akustische Umgebung schaffen

Sicher ist damit – den unliebsamen akustischen Alltagsgeräuschen kann man nicht zur Gänze aus dem Weg gehen. Deswegen ist es gemäß dem österreichischen Hörakustik-Meister Gerald Icha unbedingt erforderlich, „seinen Ohren zwischendurch eine Ruhepause zu gönnen“15. Wie man das anstellt? Gutmann rät zu einer kognitiven Umbewertung von zeitlich begrenzten akustischen Störelementen, beispielsweise Baustellen-Lärm: „Wenn der Lärm für mich emotional eine andere Bedeutung gewinnen kann als das bloße störende Geräusch, stecke ich ihn ganz anders weg“16. Das Haus muss gebaut werden, ist aber irgendwann fertiggestellt, der Laubbläser wird nur so lange im Einsatz sein, bis die Blätter beseitigt wurden – mit dieser Einstellung gelingt es, Lärm anders, nämlich nicht mehr allzu negativ, zu bewerten und den dadurch ausgelösten Stress zu reduzieren.

Für angenehme Geräusche sorgen

Daneben empfehlen Expert*innen das bewusste Hineinhören in die Natur: „Naturgeräusche, aber auch leichte Musik liefern eine gewisse Begleitung für unseren Gedankenfluss, sie fordern aber nicht zu viel Aufmerksamkeit, weil zum Beispiel etwas passieren könnte. Vor diesem dezenten Hintergrund kann man gut die Gedanken schweifen lassen“17, wie Gutmann erläutert. Empfohlen wird also, Naturräume bewusst aufzusuchen und die akustische Umgebung – das Zwitschern der Vögel, das Rascheln der Blätter und Rauschen der Bäche – aufzunehmen. Alternativ können individuell entspannende Geräuschquellen als Hintergrundbeschallung in Alltagssituationen eingebaut werden, um störende Signale einzudämmen, stattdessen entspannende herbeizurufen.18

Jedenfalls gilt – unser Gehör braucht regelmäßige Erholungsphasen. Auch wenn dies gemäß den Ausführungen kaum möglich zu sein scheint, so können doch als individuell angenehm empfundene Geräusche vorsätzlich herbeigeführt und als Hintergrunduntermalung eingesetzt werden – ob nun mittels Aufsuchen entsprechender Plätze, die ebendiese Geräusche zu bieten haben, oder durch das Abspielen von ‚meditativen‘ Klängen. Damit mindern wir lärmbedingte Stressreaktionen, die den Körper wie die Psyche auf Dauer gleichermaßen belasten. Und wenn die Lärmquelle nur kurzfristig für Unruhe sorgen sollte – die Neubewertung des Geräusches, nämlich dass der Lärm nicht fortwährend gegeben sein wird, verhilft ebenso zu einer Akzeptanz gegenüber unliebsamen Geräuschen und schließlich zur Aufrechterhaltung der körperlichen, insbesondere der psychischen Gesundheit.

 


1 Lubbadeh, Jens: „An Lärm kann man sich nicht gewöhnen“. In: spiegel.de. Veröffentlicht am 16.04.2014.
URL: https://www.spiegel.de/gesundheit/psychologie/laerm-wie-laute-geraeusche-die-psyche-und-gesundheit-beeinflussen-a-964605.html [Stand: 27.06.2023].

2 Vgl. Öffentliches Gesundheitsportal Österreichs: Lärm und Gesundheitsschäden. In: gesundheit.gv.at. Aktualisiert am 21.07.2022.
URL: https://www.gesundheit.gv.at/leben/umwelt/laerm/gesundheitsschaeden.html [Stand: 27.06.2023].

3 Vgl. o.A.: Ruhe bitte! Warum uns zu viel Lärm krank macht. In: kuriert.at. Veröffentlicht am 25.04.2023.
URL: https://kurier.at/wissen/gesundheit/ruhe-bitte-warum-uns-zu-viel-laerm-krank-macht/402424481 [Stand: 27.06.2023] und
vgl. dpa: Verkehrslärm erhöht das Risiko für Depressionen und Angststörungen. In: geo.de. Veröffentlicht am 27.04.2023.
URL: https://www.geo.de/wissen/gesundheit/verkehrslaerm-foerdert-angststoerungen-33411798.html [Stand: 27.06.2023].

4 Vgl. Buenaventura, Barbara: Rettung der Ruhe: Wie Lärm unsere Lebensqualität bedroht. In: nationalgeographic.de. Veröffentlicht am 05.07.2021.
URL: https://www.nationalgeographic.de/wissenschaft/2021/06/rettung-der-ruhe-wie-laerm-unsere-lebensqualitaet-bedroht [Stand: 27.06.2023].

5 Buenaventura, Barbara: Rettung der Ruhe: Wie Lärm unsere Lebensqualität bedroht.
URL: https://www.nationalgeographic.de/wissenschaft/2021/06/rettung-der-ruhe-wie-laerm-unsere-lebensqualitaet-bedroht [Stand: 27.06.2023].

6 Zametter, Nicole: Baustellen und laute Nachbarn: Was tun bei Lärmbelästigung? In: kuriert.at. Veröffentlicht am 24.01.2021.
URL: https://kurier.at/wirtschaft/immobiz/im-homeoffice-und-dann-staendig-dieser-laerm/401164425 [Stand: 27.06.2023].

7 Zametter, Nicole: Baustellen und laute Nachbarn: Was tun bei Lärmbelästigung?
URL: https://kurier.at/wirtschaft/immobiz/im-homeoffice-und-dann-staendig-dieser-laerm/401164425 [Stand: 27.06.2023].

8 Zametter, Nicole: Baustellen und laute Nachbarn: Was tun bei Lärmbelästigung?
URL: https://kurier.at/wirtschaft/immobiz/im-homeoffice-und-dann-staendig-dieser-laerm/401164425 [Stand: 27.06.2023].

9 Vgl. Zametter, Nicole: Baustellen und laute Nachbarn: Was tun bei Lärmbelästigung?
URL: https://kurier.at/wirtschaft/immobiz/im-homeoffice-und-dann-staendig-dieser-laerm/401164425 [Stand: 27.06.2023] und
vgl. dpa: Verkehrslärm erhöht das Risiko für Depressionen und Angststörungen.
URL: https://www.geo.de/wissen/gesundheit/verkehrslaerm-foerdert-angststoerungen-33411798.html [Stand: 27.06.2023].

10 hei / dpa: Stille ist Luxus. In: spiegel.de. Veröffentlicht am 27.04.2014.
URL: https://www.spiegel.de/gesundheit/diagnose/laerm-macht-krank-stress-fuer-koerper-und-psyche-a-965947.html [Stand: 27.06.2023].

11 Ein Tinnitus – das sogenannte „Klingeln im Ohr“ – ist eine akustische Wahrnehmung in Form von Rauschen, Klingeln, Heulen oder Pfeifen und geht auf keine äußeren Geräusche zurück. Er zeigt damit eine Fehlfunktion, Überlastung oder Erkrankung im Ohr an.
Vgl. dazu Brenner, Silke / Guth, Birgit: Tinnitus (Ohrensausen, Ohrgeräusch, Ohrenklingeln). In: meinmed.at. Aktualisiert am 04.04.2023.
URL: https://www.meinmed.at/krankheit/tinnitus/1745 [Stand: 27.06.2023].

12 Vgl. o.A.: Ruhe bitte! Warum uns zu viel Lärm krank macht.
URL: https://kurier.at/wissen/gesundheit/ruhe-bitte-warum-uns-zu-viel-laerm-krank-macht/402424481 [Stand: 27.06.2023].

13 Vgl. Verkehrslärm erhöht das Risiko für Depressionen und Angststörungen.
URL: https://www.geo.de/wissen/gesundheit/verkehrslaerm-foerdert-angststoerungen-33411798.html [Stand: 27.06.2023].

14 hei / dpa: Stille ist Luxus.
URL: https://www.spiegel.de/gesundheit/diagnose/laerm-macht-krank-stress-fuer-koerper-und-psyche-a-965947.html [Stand: 27.06.2023].

15 o.A.: Ruhe bitte! Warum uns zu viel Lärm krank macht.
URL: https://kurier.at/wissen/gesundheit/ruhe-bitte-warum-uns-zu-viel-laerm-krank-macht/402424481 [Stand: 27.06.2023].

16 Buenaventura, Barbara: Rettung der Ruhe: Wie Lärm unsere Lebensqualität bedroht.
URL: https://www.nationalgeographic.de/wissenschaft/2021/06/rettung-der-ruhe-wie-laerm-unsere-lebensqualitaet-bedroht [Stand: 27.06.2023].

17 Buenaventura, Barbara: Rettung der Ruhe: Wie Lärm unsere Lebensqualität bedroht.
URL: https://www.nationalgeographic.de/wissenschaft/2021/06/rettung-der-ruhe-wie-laerm-unsere-lebensqualitaet-bedroht [Stand: 27.06.2023].

18 Vgl. Buenaventura, Barbara: Rettung der Ruhe: Wie Lärm unsere Lebensqualität bedroht.
URL: https://www.nationalgeographic.de/wissenschaft/2021/06/rettung-der-ruhe-wie-laerm-unsere-lebensqualitaet-bedroht [Stand: 27.06.2023].

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Veröffentlicht am: 02.08.2023