Trügerische Wahrnehmung – Die Sinne und ihre Störungsanfälligkeiten

 

Wir sehen, hören, riechen, schmecken und ertasten unsere Umwelt mithilfe unserer primären Sinnesorgane und nehmen dadurch die Welt, wie sie scheinbar ist, wahr. Doch dabei unterliegen wir des Öfteren einer Täuschung, vor allem dann, wenn unsere psychische Gesundheit gefährdet ist.

Tagtäglich wirken verschiedenste Umweltreize wie beispielsweise jetzt im Frühling die bunten Farben, frischen Gerüche und die wärmenden Sonnenstrahlen auf uns ein; unser Gehirn ist dahin gehend unaufhörlich gefordert, alle Eindrücke auch entsprechend korrekt zu verarbeiten. Aufgenommen werden diese Reize über verschiedenste Sinnesfühler, sogenannte Rezeptoren bzw. Sensoren, welche sämtliche Informationen des von uns Wahrgenommenen (sowohl die Umgebung wie auch innerphysische Vorgänge betreffend) filtern.1 Um diese Reize nun explizit über die jeweiligen Sensoren wahrnehmen zu können, bedienen wir uns unserer Sinne. Gängig sind hierbei vor allem das Sehen, Hören, Riechen, Schmecken und Tasten, wobei noch vier weitere Sinne dem hinzuzufügen sind, nämlich der Temperatur-, der Haltungs-, der Schmerzsinn und das Wahrnehmen von Hunger oder Durst.2

Über unsere Sinne können wir also ein Abbild des derzeitigen Zustandes unserer Umwelt erzeugen. Doch was passiert, wenn nun einer dieser Sinne oder sogar mehrere gestört sind oder uns die Wahrnehmung im Generellen einen Streich spielt?

Sinne verarbeiten das Gegebene

Prinzipiell verfügen wir über die angeborene Gabe, Sinneseindrücke richtig zu organisieren. Christoph Kayser, Leiter der Forschungsgruppe ‚Kognitive Neurowissenschaften‘ an der Universität Bielefeld, erklärt, warum wir trotz Reizüberflutung dazu überhaupt in der Lage sind: „Wir wählen aus, indem wir die Aufmerksamkeit auf bestimmte Dinge lenken – bewusst oder unbewusst. Bekanntes, Überraschendes und Neues fesselt das Gehirn“.3 Unser Gehirn ‚filtert‘ demnach bestimmte Informationen, die für uns persönlich von Belang sind. Lassen uns aber unsere eigenen Sinne im Stich, kann auch kein einwandfreies Abbild der Realität mehr erzeugt werden.

Abbild der Umwelt oder Illusion?

Und wir alle unterliegen das ein oder andere Mal einer Sinnestäuschung, da die Wahrnehmung an sich fehleranfällig ist und sich entsprechende Störungen in Form von Halluzinationen jeglicher Art bereits bei Fieberschüben, Schlafstörungen oder im Halbschlaf bemerkbar machen.4 Eingeschränkt werden wir durch eine solche Wahrnehmungstäuschung in unserem Alltag kaum bis gar nicht. Und hin und wieder helfen entsprechende Sinnestäuschungen sogar dabei, psychisch belastende Extremsituationen zu überstehen: Fehlt jemandem beispielsweise die Interaktion mit einer Person aufgrund von Einsamkeit oder ist man einer starken psychischen Belastung ausgesetzt (wie der Tod einer geliebten Person), kann dies zu akustischen und visuellen Halluzinationen führen. Dafür verantwortlich sind fehlende Reizeinflüsse sowie mangelnde Stimulation der Sinnesorgane, weswegen Menschen in Trauerphasen oder in sozialer Isolation häufig imaginäre Personen ‚erfinden‘, um auf diese Art und Weise die Interaktion zu jemandem zu pflegen.5 Solche Halluzinationen sind im Grunde nicht bedenklich, da sie dabei helfen können, schwierige Phasen zu meistern. Anders verhält es sich jedoch bei Sinnestäuschungen und Halluzinationen, welche durch psychische Störungen bzw. Erkrankungen ausgelöst werden.

Das Vertrauen in die Sinne verlieren

In diesem Zusammenhang leiden besonders Menschen mit einer Autismus-Spektrum-Störung an Wahrnehmungsstörungen von unterschiedlichen Ausprägungen. Beispielsweise sehen Betroffene mit sensorischer Überempfindlichkeit Objekte verzerrt oder im Zusammenspiel mit grellen Lichtern, werden von Gerüchen überwältigt oder können aus vielen Geräuschquellen eine einzelne Stimme nicht herausfiltern. Hingegen kämpfen Personen mit Autismus-Spektrum-Störung, die eher sensorisch unterempfindlich sind, etwa mit einer schlechten Tiefenwahrnehmung, zeigen keine Reaktion auf bestimmte Geräusche oder nehmen manchmal extreme Gerüche nicht wahr. Deswegen sollten Angehörige die entsprechenden individuellen Sinneseindrücke von Betroffenen kennenlernen, um deren Verhalten besser zu verstehen und um zu wissen, wann welche Sinneskanäle zur Aufnahme von Informationen bereitstehen.6

Wahrnehmungsstörung – Auslöser Psychische Erkrankung

Wahrnehmungsstörungen können auch bei anderen Störungen bzw. Erkrankungen die Psyche betreffend auftreten, beispielsweise bei der Schizophrenie. Ein Symptom dieser Krankheit können etwa akustische Halluzinationen sein: Betroffene hören dabei Geräusche, die nicht existieren, oder berichten von Stimmen im Kopf, welche das eigene Verhalten bösartig kommentieren.7 Außerdem konnte durch Studien nachgewiesen werden, dass Betroffene häufig über einen schlechter ausgeprägten Geruchssinn verfügen, was sich oft schon in einem Frühstadium der Erkrankung bemerkbar macht.8

Und auch bei Depressionen sind die Sinneseindrücke gestört: Betroffene leiden häufig an einer verminderten Geruchswahrnehmung, welche erst wieder mit der Verbesserung des Gesundheitszustandes zunimmt.9 Des Weiteren können visuelle Halluzinationen symptomatisch auf Depressionen hinweisen,10 so beispielsweise – wie zuvor erläutert – bei ausgeprägten Einsamkeitsgefühlen. Und nicht zuletzt können Stress und extreme psychische Belastungen für eine gestörte Wahrnehmung verantwortlich sein.

Ab wann wird ärztliche Unterstützung vonnöten?

Häufen sich Halluzinationen die Sinne betreffend unabhängig von Stresssituationen oder akuten psychischen Belastungen, so sollte die/der Hausärzt*in aufgesucht werden, um der Ursache für die Wahrnehmungsstörung auf den Grund zu gehen bzw. um an ein*e Neurolog*in oder Psychiater*in überwiesen zu werden. Treten Sehstörungen zusammen mit Sprachstörungen, Lähmungserscheinungen, Kopfschmerzen und Übelkeit auf, so ist unverzüglich die Rettung zu rufen, da dies auch Anzeichen für einen Schlaganfall sein können.11

Im Allgemeinen treffen Wahrnehmungsstörungen manchmal jede*n von uns und können auf übermäßigen Stress oder akute seelische Belastungen hindeuten. Doch wie ebenfalls geschildert sind Sinnestäuschungen häufig Begleitsymptome von psychischen Störungen und Krankheiten, weswegen in solchen Fällen jedenfalls ein*e Ärzt*in zurate gezogen werden sollte. Diese*r kann mögliche Ursachen hierfür finden und infolgedessen auch die entsprechende Behandlung zur Reduzierung bzw. Heilung in die Wege leiten – damit unsere Sinne ein weitgehend fehlerfreies und umfangreiches Abbild der Wirklichkeit schaffen können.

 


1 Vgl. Lexikon der Psychologie: Sinnesorgane. In: spektrum.de/lexikon.
URL: https://www.spektrum.de/lexikon/psychologie/sinnesorgane/14284 [Stand: 09.02.2022].

2 Vgl. o.A.: Wahrnehmung und Handlungssteuerung. In: br.de. Veröffentlicht am 28.10.2016.
URL: https://www.br.de/telekolleg/faecher/psychologie/telekolleg-psychologie-wahrnehmung-100.html [Stand: 09.02.2022].

3 Bannert, Andrea: Die Matrix: Sinneswahrnehmung im Gehirn. In: focus-arztsuche.de. Aktualisiert am 22.06.2021.
URL: https://focus-arztsuche.de/magazin/gesundheitstipps/sinnesverarbeitung-im-gehirn [Stand: 09.02.2022].

4 Vgl. Blank-Koppenleitner, Andrea: Halluzinationen. In: apotheken-umschau.de. Aktualisiert am 02.04.2015.
URL: https://www.apotheken-umschau.de/krankheiten-symptome/symptome/halluzinationen-741683.html#ueberblick-ueber-moegliche-ursachen-von-halluzinationen [Stand: 15.02.2022].

5 Vgl. Schäffler, Arne / Strasser-Vogel, Brigitte: Sinnestäuschungen, Halluzinationen und Wahnvorstellungen. In: apotheken.de.
URL: https://www.apotheken.de/symptome/13125-sinnestauschungen-halluzinationen-und-wahnvorstellungen [Stand: 10.02.2022].

6 Vgl. Müller, Linus: Autismus und Wahrnehmung. In: autismus-kultur.de.
URL: https://autismus-kultur.de/autismus/autipedia/wahrnehmung-autistischer-menschen.html#sensorische-besonderheiten [Stand: 10.02.2022].

7 Vgl. Schäffler, Arne / Strasser-Vogel, Brigitte: Sinnestäuschungen, Halluzinationen und Wahnvorstellungen.
URL: https://www.apotheken.de/symptome/13125-sinnestauschungen-halluzinationen-und-wahnvorstellungen [Stand: 10.02.2022].

8 Vgl. Luerweg, Frank: Wie Geruchssinn und psychische Störungen zusammenhängen. In: spektrum.de. Veröffentlicht am 28.06.2019.
URL: https://www.spektrum.de/news/zusammenhang-von-psychische-erkrankungen-und-geruchssinn/1655756 [Stand: 10.02.2022].

9 Vgl. Luerweg, Frank: Wie Geruchssinn und psychische Störungen zusammenhängen.
URL: https://www.spektrum.de/news/zusammenhang-von-psychische-erkrankungen-und-geruchssinn/1655756 [Stand: 10.02.2022].

10 Vgl. Oberberg: Wenn Sinnestäuschungen eine falsche Realität vermitteln. In: oberbergkliniken.de.
URL: https://www.oberbergkliniken.de/symptome/halluzinationen [15.02.2022].

11 Vgl. Blank-Koppenleitner, Andrea: Halluzinationen.
URL: https://www.apotheken-umschau.de/krankheiten-symptome/symptome/halluzinationen-741683.html#ueberblick-ueber-moegliche-ursachen-von-halluzinationen [Stand: 15.02.2022].

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Veröffentlicht am: 16.03.2022