Streiten will gelernt sein

 

Obwohl wir stets um ein harmonisches Miteinander bemüht sind, lässt sich der ein oder andere Konflikt bis hin zu einem ausgewachsenen Streit nicht vermeiden. Wie gehen wir in solch angespannten Situationen dann richtig mit unserem Gegenüber um?

„Du hast den Müll schon wieder nicht rausgebracht“, „Immer kommst du zu spät zu unseren Verabredungen“ oder „Du liegst wie immer falsch“ – mit solchen Sätzen wollen wir zum Ausdruck bringen, dass uns ein Verhalten oder eine bestimmte Ansicht des Gegenübers stört. Solche Formulierungen haben jedoch das Potenzial, latente oder bereits vorhandene Konflikte auszulösen, die schlussendlich in einem Streit münden. Zwischenmenschliche Auseinandersetzungen lassen sich unter Personen mit unterschiedlichen Bedürfnissen und Meinungen auch nicht zur Gänze vermeiden,1 „und das ist gut und wichtig, denn sonst würden sich die Menschen nicht weiter entwickeln“2, sagt die österreichische Streitexpertin Julia Marktl. Vielmehr geht es bei einem Streit darum, konstruktiv und sachlich zu bleiben, doch wie kann das gelingen?

Eskalation

Denn wie die deutsche Psychotherapeutin Dagmar Kumbier weiß: „In Streits gibt es sehr oft einen Kipp-Punkt, an dem der Konflikt plötzlich nicht mehr fair verläuft oder schräg wird“3. Wir reagieren während eines Streits also nicht immer angemessen, flüchten uns manchmal sogar in Verhaltensweisen, die einer (notwendigen) Auseinandersetzung schaden und diese sogar eskalieren lassen können. Der US-Psychologe John Gottman hat hierzu vier Handlungsmuster benannt, die einer gepflegten und konstruktiven Streitkultur (insbesondere in Partnerschaften) widersprechen:4

  • Unsachliche Kritik
    Der Ärger wird als Vorwurf formuliert, der sich nicht auf eine Handlung, sondern auf die Person bezieht.
  • Rechtfertigung
    Anstatt Kritik anzunehmen, verteidigt man sich stur, was dazu führen kann, dass sich der Konflikt zuspitzt und von Angriffen und Gegenangriffen geprägt ist.
  • Verachtung
    Abwertende Bemerkungen, Sarkasmus oder demütigende Formulierungen finden Eingang in einen Streit und schaden enorm.
  • Mauern
    Eine der beiden streitenden Personen zieht sich plötzlich zurück, indem das weiterführende Gespräch vehement vermieden wird, man sich kommentarlos einer anderen Beschäftigung zuwendet oder den Raum demonstrativ verlässt.

Wenden wir solche Verhaltensmuster während eines Streits ständig an und erlernen wir auch nicht, wie wir angemessen und konstruktiv streiten, kann dies gravierende Folgen für die körperliche und psychische Gesundheit mit sich bringen.

Die Seele leidet mit

Denn ein Streit bedeutet zunächst immer Stress: Das Herz schlägt schneller, der Puls rast, die Hormone spielen verrückt, indem beispielsweise der Adrenalinspiegel steigt.5 Und Forscher*innen haben herausgefunden, dass „[z]wischenmenschliche Konflikte […] uns erwiesenermaßen am meisten Stress“6 bereiten würden, sagt Rodlescia Sneed von der Carnegie Mellon Universität in Pittsburgh. Anhaltender Stress auf zwischenmenschlicher Ebene begünstigt beispielsweise eine langfristige Steigerung des Blutdrucks, was das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Schlaganfälle erhöht.7 Und auch das psychische Wohlbefinden leidet unter dem durch anhaltende Konflikte ausgelösten Stress: Müdigkeit, Schlafstörungen, Reizbarkeit bis hin zu sozialem Rückzug, Ängsten oder Depressionen sind mögliche Folgen.8 Eine dänische Langzeitstudie ergab sogar, dass Personen, die sich oft mit der*dem Partner*in, Kindern, Familie, Freund*innen oder Nachbar*innen streiten, ein doppelt bis dreifach so hohes Sterberisiko aufweisen würden wie Personen, die nur manchmal Konflikte austragen.9

Richtig streiten

Deswegen ist es umso wichtiger, eine angemessene Streitkultur zu erlernen. Und die deutsche Paartherapeutin Maud Winkler animiert auch regelrecht dazu, über Konflikte offen zu reden: „Viele haben Angst, Probleme anzusprechen, weil sie denken, dass sie zum Beispiel dadurch am Arbeitsplatz das kollegiale Verhältnis stören. Dabei ist es ja schon gestört, die Missstimmung ist ja schon da“10. Und werden Ärger und Wut auf Dauer verdrängt, kann ein Konflikt viel leichter ausarten und eskalieren. Deswegen gilt es zunächst, die eigenen Bedürfnisse immer wahrzunehmen und sie dem Gegenüber offen zu kommunizieren.11

Wie agiert man nun im Streit, ohne Grenzen zu überschreiten, stattdessen die eigenen Empfindungen und Wünsche konstruktiv und angemessen zu formulieren? Die nachstehenden Tipps können zu einer guten Streitkultur wesentlich beitragen:[12]

  • Sachlich bleiben
    Während eines Streits sollte geäußert werden, was genau zu diesem Konflikt geführt hat. Kritik auf persönlicher, pauschaler Ebene ist dabei unangebracht.
  • Alte Konflikte außen vor lassen
    Im Streit sollten alte, beigelegte Konflikte nicht wieder angesprochen werden, denn dies kann dazu führen, dass sich der Streit nur noch mehr verschärft.
  • Zuhören
    Von besonderer Wichtigkeit ist es, dem Gegenüber zuzuhören, nicht zu unterbrechen und die Person ausreden zu lassen. Durch diese Zeichen des Respekts fällt es beiden Parteien leichter, an einer Lösung zu arbeiten.
  • Wertschätzende Haltung
    Auch während eines Streits kann man dem Gegenüber Wertschätzung entgegenbringen; Beschimpfungen, Herablassung und Beleidigungen sind dabei fehl am Platz.
  • Kompromisse finden
    Ziel eines Streits ist es, kundzutun, welche Handlungen als störend empfunden werden. Vorwürfe sind unangebracht, stattdessen sollten Lösungsvorschläge für die Problematik kommuniziert werden, um zu signalisieren, dass man auch die Bedürfnisse des Gegenübers berücksichtigt.
  • Verzeihen können
    Wurde ein Streit durch eine Kränkung verursacht, ist es von Wichtigkeit, dass man sich aufrichtig entschuldigt bzw. die Entschuldigung annimmt. Kann man jedoch nicht verzeihen, sollte man herauszufinden versuchen, welches Problem tatsächlich hinter dem Konflikt steckt.

Ein Streit lässt sich gemäß den Ausführungen überall dort also nicht vermeiden, wo Menschen miteinander in Kontakt treten und für die eigenen Bedürfnisse und Wünsche einstehen (müssen). Ob in der Partnerschaft, im Familienverband, im Freundeskreis oder unter Kolleg*innen – Störfaktoren sollten immer auf einer sachlichen Ebene angesprochen werden, damit es erst gar nicht zu einem größeren Konflikt kommt. Und befindet man sich schließlich in einer Streitsituation, ist es – auch wenn die Stimmen erhoben werden – trotzdem von Wichtigkeit, respektvoll miteinander umzugehen, sachlich und konstruktiv zu argumentieren und Lösungen anzubieten, um Kompromisse zu finden. Dadurch wird auf zufriedenstellende Art und Weise dem Ärger Luft gemacht und das körperliche und seelische Wohlbefinden bleiben aufrechterhalten.

 


1 Vgl. Friess, Delia: Wie ihr richtig streitet und Konflikte konstruktiv löst. In: ardalpha.de. Veröffentlicht am 19.06.2023.
URL: https://www.ardalpha.de/wissen/psychologie/streit-richtig-konstruktiv-streiten-streitereien-zoff-konflikt-beziehungen-partnerschaft-100.html [Stand: 16.05.2024].

2 Kanzler, Nora: Streite in der Familie: Wie man es richtig macht. In: kleinezeitung.at. Veröffentlicht am 15.03.2020.
URL: https://www.kleinezeitung.at/lebensart/familie/5767174/Gesunde-Streitkultur_Streiten-in-der-Familie_Wie-man-es-richtig-macht [Stand: 16.05.2024].

3 o.A.: Einfach mal „Stopp“ sagen. In: spiegel.de. Veröffentlicht am 25.11.2016.
URL: https://www.spiegel.de/gesundheit/psychologie/besser-streiten-stopp-sagen-bei-destruktiven-streitmustern-a-1119438.html [Stand: 16.05.2024].

4 Vgl. Maeck, Stefanie / Botzenhardt, Tilman: Wie richtiges Streiten die Beziehung rettet. In: GOE WISSEN Nr. 58/2016.
URL: https://www.geo.de/magazine/geo-wissen/15131-rtkl-stabile-partnerschaft-wie-richtiges-streiten-die-beziehung-rettet [Stand: 16.05.2024].

5 Vgl. Friess, Delia: Wie ihr richtig streitet und Konflikte konstruktiv löst.
URL: https://www.ardalpha.de/wissen/psychologie/streit-richtig-konstruktiv-streiten-streitereien-zoff-konflikt-beziehungen-partnerschaft-100.html [Stand: 16.05.2024].

6 Weimer, Sophia: So gefährlich ist Streit für unseren Körper. In: welt.de. Veröffentlicht am 02.06.2014.
URL: https://www.welt.de/gesundheit/article128637504/So-gefaehrlich-ist-Streit-fuer-unseren-Koerper.html [Stand: 16.05.2024].

7 Vgl. Weimer, Sophia: So gefährlich ist Streit für unseren Körper.
URL: https://www.welt.de/gesundheit/article128637504/So-gefaehrlich-ist-Streit-fuer-unseren-Koerper.html [Stand: 16.05.2024].

8 Vgl. AOK Gesundheitsmagazin: Krankheiten durch Stress: So sehr kann die Belastung dem Körper schaden. In: aok.de. Veröffentlicht am 01.07.2020.
URL: https://www.aok.de/pk/magazin/wohlbefinden/stress/stress-so-krank-kann-er-machen/ [Stand: 16.05.2024].

9 Vgl. wbr: Wer viel streitet, hat ein höheres Sterberisiko. In: spiegel.de. Veröffentlicht am 09.05.2014.
URL: https://www.spiegel.de/gesundheit/psychologie/wer-viel-streitet-hat-ein-hoeheres-sterberisiko-a-968445.html [Stand: 16.05.2024].

10 Schäfer, Susanne: Richtig streiten. In: zeit.de. Veröffentlicht am 05.04.2011.
URL: https://www.zeit.de/zeit-wissen/2011/03/Streiten/komplettansicht [Stand: 16.05.2024].

11 Vgl. Friess, Delia: Wie ihr richtig streitet und Konflikte konstruktiv löst.
URL: https://www.ardalpha.de/wissen/psychologie/streit-richtig-konstruktiv-streiten-streitereien-zoff-konflikt-beziehungen-partnerschaft-100.html [Stand: 16.05.2024].

12 Vgl. AOK Gesundheitsmagazin: Richtig streiten und Konflikte konstruktiv lösen. In: aok.de. Veröffentlicht am 31.05.2023.
URL: https://www.aok.de/pk/magazin/familie/beziehung/richtig-streiten-konflikte-loesen/ [Stand: 16.05.2024] und
vgl. Friess, Delia: Wie ihr richtig streitet und Konflikte konstruktiv löst.
URL: https://www.ardalpha.de/wissen/psychologie/streit-richtig-konstruktiv-streiten-streitereien-zoff-konflikt-beziehungen-partnerschaft-100.html [Stand: 16.05.2024].

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Veröffentlicht am: 22.05.2024