Wenn man in der Nacht regelmäßig von Heißhungerattacken geplagt wird und diesen auch nachgegeben werden muss, bevor man überhaupt wieder einschlafen kann, dann könnte dies ein Hinweis darauf sein, dass das psychische Wohlbefinden aus dem Gleichgewicht geraten ist.

Wir alle haben schon bei der ein oder anderen Heißhungerattacke über die Stränge geschlagen, um unseren Gusto auf bestimmte Lebensmittel zu stillen. Gelegentlicher Heißhunger ist im Grunde auch nicht sogleich als bedenklich einzustufen, sondern kann allein schon durch Schlafmangel oder Blutzuckerschwankungen ausgelöst werden.¹ Tritt er jedoch über einen längeren Zeitraum gehäuft auf bzw. halten Heißhungergefühle langfristig an, sollte ärztlicher Rat eingeholt werden, denn neben körperlichen Ursachen wie Schilddrüsenerkrankungen oder Diabetes können diese ein Symptom von übermäßiger psychischer Belastung sein oder sogar auf eine psychische Erkrankung zurückgeführt werden.² Und eine ärztliche Abklärung ist auch dann notwendig, wenn Heißhungerattacken regelmäßig – man spricht von zwei Tagen in der Woche über mindestens drei Monate hinweg – in den Nachtstunden auftreten und ihnen auch nicht widerstanden werden kann.³ Dahinter könnte sich nämlich das sogenannte Night-Eating-Syndrom (kurz NES) verbergen.

Nächtliche Fressanfälle

Dieses zeichnet sich durch abendliche und nächtliche Heißhungerattacken aus, welche dabei auf zweierlei Art und Weise in Erscheinung treten können: Betroffene wachen entweder in der Nacht auf und verspüren Heißhunger, dem auch nachgegeben werden muss, oder sie können erst gar nicht einschlafen, ehe der Hunger gestillt wurde.⁴ Dabei werden „[m]indestens 25 Prozent der täglichen Kalorien […] aufgenommen“⁵, erklärt Anja Hilbert, Professorin für Verhaltensmedizin an der Universität Leipzig. Der Appetit am nächsten Morgen bzw. tagsüber ist dementsprechend gedämpft, weswegen sich die nächtlichen Essanfälle nicht unbedingt für eine Gewichtszunahme verantwortlich zeigen; NES tritt jedoch häufig bei Menschen auf, die bereits übergewichtig sind, wodurch sich diese Problematik jedenfalls verstärken kann.⁶

Wenn die Seele nach Essen giert

Neben dem dennoch häufig fehlenden Appetit tagsüber leiden NES-Betroffene insbesondere wegen der Ein- und Durchschlafprobleme an Müdigkeitserscheinungen und Reizbarkeit. Eine getrübte Gemütslage am Abend vor den Heißhungerattacken, Sorgen um Gewicht und Figur (vorwiegend bei übergewichtigen Personen) sowie Stress und psychische Belastungen im Allgemeinen sind ständige Alltagsbegleiter, begünstigen in weiterer Folge die Entwicklung von Depressionen, Ängsten und Abhängigkeitserkrankungen.⁷

Unter den nächtlichen Fressattacken gepaart mit den eben erwähnten Symptomen leiden geschätzt 1 bis 2 % der Bevölkerung. „Das ist relativ viel – einer von hundert, damit ist das NES beinahe häufiger als Magersucht“⁸, verdeutlicht Andreas Karwautz, Professor für Kinder- und Jugendpsychiatrie an der Medizinischen Universität Wien. Ausgegangen wird aber von einer viel höheren Dunkelziffer, was damit zusammenhängen könnte, dass noch sehr wenig über die Erkrankung bekannt ist: „Weder Fachleute noch Betroffene wissen viel darüber“⁹, räumt Hilbert ein. Dies ist auch ein Grund dafür, warum das Night-Eating-Syndrom nicht als eigenständige Erkrankung geführt wird und sich Fachleute noch immer nicht darüber einig sind, ob es sich dabei primär um eine psychische Erkrankung, eine Schlaf- oder Essstörung handelt.¹⁰ Professionist*innen stimmen aber dahin gehend überein, dass es „beim Night-Eating-Syndrom immer auch eine psychische Komponente“¹¹ gebe, wie Hilbert anführt.

Auf der Suche nach der Ursache

Wie bereits erwähnt dürften Stress und psychische Belastungen im Generellen sowie bereits gegebenes starkes Übergewicht Risikofaktoren für die Entwicklung des NES sein, aber auch eine genetische Veranlagung wird diskutiert, nachdem familiäre Häufungen beobachtet wurden.¹² Angenommen wird außerdem, dass hormonelles Ungleichgewicht nächtliche Fressanfälle begünstigt. Dabei rücken ganz bestimmte Hormone in den Fokus der Aufmerksamkeit: Jene Hormone, die für unseren Schlaf-Wach-Rhythmus (dabei vor allem Melatonin) verantwortlich sind, scheinen durcheinandergeraten zu sein, ebenso Hormone, die unser Sättigungsempfinden beeinflussen, wie beispielsweise Ghrelin, dessen Konzentration im Körper bei Menschen mit NES erhöht ist. Und nicht zuletzt konnte auch ein erhöhter Cortisol-Spiegel (also eine Stresssymptomatik) bei NES-Betroffenen festgestellt werden.¹³ Festgehalten werden muss aber, dass all diese Ursachen nicht als gesichert gelten, sondern nur Vermutung der Fachwelt widerspiegeln.

Therapiemaßnahmen

Das Night-Eating-Syndrom muss nicht zwingend behandelt werden, wenn man für sich selbst keine nachhaltigen körperlichen und psychischen Beschwerden feststellt und auch keinen Leidensdruck verspürt.¹⁴ „Aber wenn ich merke, dass ich nicht mehr rauskomme, nicht richtig schlafe oder ein schlechtes Körperbild entwickle, sind das Gründe, sich Hilfe zu holen“¹⁵, erklärt Martin Teufel, Direktor an der Klinik für psychosomatische Medizin und Psychotherapie der Universitätsklinik Essen. Und auch Hilbert ist ähnlicher Ansicht: „Wichtiges Kriterium für eine Behandlung ist, dass man darunter leidet oder sich beeinträchtigt fühlt“¹⁶.

Eine Behandlung des NES zielt sodann vorwiegend darauf ab, einen geregelten Schlaf-Wach-Rhythmus zu etablieren sowie Begleitsymptome zu reduzieren bzw. zu behandeln.¹⁷ Weil aber das Wissen um NES „noch sehr bescheiden“¹⁸ sei, wie Karwautz betont, gibt es keine gesicherten Ergebnisse zu Therapieerfolgen. „Ein Zusammenspiel aus psychologischer und medikamentöser Behandlung sowie eine Lichttherapie zeigt jedoch die besten Ergebnisse“¹⁹, wie er Mut macht. Während Antidepressiva dabei unterstützen, eine mit NES gedrückte Stimmungslage zu bekämpfen, ermöglicht eine Psychotherapie einen adäquaten Umgang mit den Symptomen des NES sowie das Training neuer Essstrukturen. Nicht zuletzt wird auch beleuchtet, welche Problemstellungen ursächlich für das Night-Eating-Syndrom sein können. Daneben können die bereits erwähnte Lichttherapie, Entspannungstechniken wie die Progressive Muskelentspannung sowie Ernährungsberatung positiv hinsichtlich der Behandlung des NES wirken.²⁰

Im Generellen gilt, dass nächtliche Heißhungerattacken als unproblematisch eingestuft werden können, solange sie nicht regelmäßig auftreten. Sind diese jedoch stark ausgeprägt, muss der individuelle Leidensdruck überprüft werden, um zu entscheiden, ob therapeutische Maßnahmen eingeleitet werden müssen oder nicht. Und obwohl das Night-Eating-Syndrom noch wenig erforscht ist, somit auch Standards in der Behandlung fehlen, können die kombinierten Therapiemaßnahmen hilfreich sein, das seelische Gleichgewicht wiederherzustellen und somit den nächtlichen Heißhungerattacken vorzubeugen.

 

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¹ Vgl. Knop, Uwe: Heißhunger-Alarm: Was wirklich hilft, wenn die Gier zuschlägt. In: focus.de. Veröffentlicht am 24.03.2025.
URL: https://www.focus.de/gesundheit/ernaehrung/ernaehrungswissenschaftler-uwe-knop-heisshunger-alarm-was-wirklich-hilft-wenn-die-gier-zuschlaegt_27c4f85f-dc93-48a0-a69a-ddcf6994aab4.html [Stand: 29.10.2025].

² Vgl. Blank-Koppenleitner, Andrea: Heißhunger. In: apotheken-umschau.de. Aktualisiert am 04.02.2015.
URL: https://www.apotheken-umschau.de/krankheiten-symptome/symptome/heisshunger-741287.html [Stand: 29.10.2025].

³ Vgl. Meister-Mathieu, Christiane / dpa / ntv.de: Wann wird nächtliches Essen zum Problem? In: n-tv.de. Veröffentlicht am 04.11.2023.
URL: https://www.n-tv.de/wissen/frageantwort/Wann-wird-naechtliches-Essen-zum-Problem-article24507949.html [Stand: 29.10.2025].

⁴ Vgl. Sonnenmoser, Marion: Night-Eating-Syndrom: Mehr als eine schlechte Angewohnheit. In: Deutsches Ärzteblatt PP 7/2009, S. 316f.
Online abrufbar unter https://www.aerzteblatt.de/archiv/night-eating-syndrom-mehr-als-eine-schlechte-angewohnheit-6d4a0368-0703-44ef-9eaa-5d7d4912c2a5 [Stand: 29.10.2025].

⁵ Krause, Sonja: Was hinter dem nächtlichen Gang zum Kühlschrank steckt. In: keinezeitung.at. Veröffentlicht am 07.11.2023.
URL: https://www.kleinezeitung.at/lebensart/gesundheit/17795890/was-hinter-dem-naechtlichen-gang-zum-kuehlschrank-steckt [Stand: 29.10.2025].

⁶ Vgl. Walter, Tanja: Night-Eating-Syndrom – Essanfälle mitten in der Nacht.
URL: https://rp-online.de/leben/gesundheit/ernaehrung/night-eating-syndrom-was-sie-ueber-essanfaelle-in-der-nacht-wissen-muessen_aid-18077981 [Stand: 29.10.2025] und
vgl. Sonnenmoser, Marion: Night-Eating-Syndrom: Mehr als eine schlechte Angewohnheit.
Online abrufbar unter https://www.aerzteblatt.de/archiv/night-eating-syndrom-mehr-als-eine-schlechte-angewohnheit-6d4a0368-0703-44ef-9eaa-5d7d4912c2a5 [Stand: 29.10.2025].

⁷ Vgl. Tiedemann, Mirja / Warmuth, Malika: Night-Eating-Syndrom: Nächtliches Essen. In: zanadio.de. Aktualisiert am 06.11.2023.
URL: https://zanadio.de/erkrankungen/night-eating-syndrom/ [Stand: 29.10.2025] und
vgl. Sonnenmoser, Marion: Night-Eating-Syndrom: Mehr als eine schlechte Angewohnheit.
Online abrufbar unter https://www.aerzteblatt.de/archiv/night-eating-syndrom-mehr-als-eine-schlechte-angewohnheit-6d4a0368-0703-44ef-9eaa-5d7d4912c2a5 [Stand: 29.10.2025].

⁸ Poller-Hartig, Gabriele: Albtraum Essen. In: derstandard.at. Veröffentlicht am 12.10.2012.
URL: https://www.derstandard.at/story/1348285884158/albtraum-essen [Stand: 29.10.2025].

⁹ Krause, Sonja: Was hinter dem nächtlichen Gang zum Kühlschrank steckt.
URL: https://www.kleinezeitung.at/lebensart/gesundheit/17795890/was-hinter-dem-naechtlichen-gang-zum-kuehlschrank-steckt [Stand: 29.10.2025].

¹⁰ Vgl. Tiedemann, Mirja / Warmuth, Malika: Night-Eating-Syndrom: Nächtliches Essen.
URL: https://zanadio.de/erkrankungen/night-eating-syndrom/ [Stand: 29.10.2025] und
vgl. Krause, Sonja: Was hinter dem nächtlichen Gang zum Kühlschrank steckt.
URL: https://www.kleinezeitung.at/lebensart/gesundheit/17795890/was-hinter-dem-naechtlichen-gang-zum-kuehlschrank-steckt [Stand: 29.10.2025].

¹¹ Meister-Mathieu, Christiane / dpa / ntv.de: Wann wird nächtliches Essen zum Problem?
URL: https://www.n-tv.de/wissen/frageantwort/Wann-wird-naechtliches-Essen-zum-Problem-article24507949.html [Stand: 29.10.2025].

¹² Vgl. Meister-Mathieu, Christiane / dpa / ntv.de: Wann wird nächtliches Essen zum Problem?
URL: https://www.n-tv.de/wissen/frageantwort/Wann-wird-naechtliches-Essen-zum-Problem-article24507949.html [Stand: 29.10.2025].

¹³ Vgl. Tiedemann, Mirja / Warmuth, Malika: Night-Eating-Syndrom: Nächtliches Essen. In: zanadio.de. Aktualisiert am 06.11.2023.
URL: https://zanadio.de/erkrankungen/night-eating-syndrom/ [Stand: 29.10.2025] und
vgl. Poller-Hartig, Gabriele: Albtraum Essen.
URL: https://www.derstandard.at/story/1348285884158/albtraum-essen [Stand: 29.10.2025].

¹⁴ Vgl. Krause, Sonja: Was hinter dem nächtlichen Gang zum Kühlschrank steckt.
URL: https://www.kleinezeitung.at/lebensart/gesundheit/17795890/was-hinter-dem-naechtlichen-gang-zum-kuehlschrank-steckt [Stand: 29.10.2025].

¹⁵ Krause, Sonja: Was hinter dem nächtlichen Gang zum Kühlschrank steckt.
URL: https://www.kleinezeitung.at/lebensart/gesundheit/17795890/was-hinter-dem-naechtlichen-gang-zum-kuehlschrank-steckt [Stand: 29.10.2025].

¹⁶ Krause, Sonja: Was hinter dem nächtlichen Gang zum Kühlschrank steckt.
URL: https://www.kleinezeitung.at/lebensart/gesundheit/17795890/was-hinter-dem-naechtlichen-gang-zum-kuehlschrank-steckt [Stand: 29.10.2025].

¹⁷ Vgl. Tiedemann, Mirja / Warmuth, Malika: Night-Eating-Syndrom: Nächtliches Essen.
URL: https://zanadio.de/erkrankungen/night-eating-syndrom/ [Stand: 29.10.2025].

¹⁸ Poller-Hartig, Gabriele: Albtraum Essen.
URL: https://www.derstandard.at/story/1348285884158/albtraum-essen [Stand: 29.10.2025].

¹⁹ Poller-Hartig, Gabriele: Albtraum Essen.
URL: https://www.derstandard.at/story/1348285884158/albtraum-essen [Stand: 29.10.2025].

²⁰ Vgl. Tiedemann, Mirja / Warmuth, Malika: Night-Eating-Syndrom: Nächtliches Essen.
URL: https://zanadio.de/erkrankungen/night-eating-syndrom/ [Stand: 29.10.2025].

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Veröffentlicht am: 05.11.2025