Lebensräume mit unterschiedlichen Wirkungsweisen auf die Seele

 

Ganz klar – das Leben in der Stadt bietet gegenüber dem Wohnen auf dem Land zahlreiche Vorteile. Doch profitiert auch die Psyche von der urbanen Atmosphäre?

Immer wieder werden wir auf die vermeintliche Tatsache hingewiesen, dass das Stadtleben massiven Einfluss auf unser psychisches Wohlbefinden nimmt – und zwar negativen. Doch womit hängt dieser Umstand zusammen? Und bringt das Landleben im Vergleich zur urbanen Umgebung tatsächlich ausschließlich Vorteile mit sich?

Pulsierende Urbanität vs. ländliche Idylle

Überzeugte Städter*innen tun sich nicht schwer damit, die Vorteile des Stadtlebens aufzuzählen: Das morgendliche Pendeln zur Arbeit kann umgangen werden, indem Öffentliche Verkehrsmittel oder das Fahrrad genutzt werden, die Strecke bestenfalls zu Fuß zurückgelegt wird, ein schier unerschöpfliches Kultur- und Freizeitangebot in unmittelbarer Umgebung ist ständig verfügbar und generell haben Stadtbewohner*innen besseren Zugang zu Gesundheitseinrichtungen, Bildungs- und Arbeitsstätten.

Argumente der Gegenseite folgen sogleich: Auf dem Land ist es ruhiger, die Flora und Fauna bieten je nach Jahreszeit ein faszinierendes Schauspiel, und durch das große, naturbelassene Platzangebot kommen sich die Landliebhaber*innen nicht ständig in die Quere.

Je nach persönlicher Vorliebe und individuellen Bedürfnissen hat sowohl die eine Seite wie auch die andere ein Für und Wider. Betrachtet man die Ergebnisse wissenschaftlicher Forschungen, so scheint jedoch Folgendes festzustehen: Das Landleben wirkt sich positiv auf die psychische Gesundheit aus, hingegen kann die städtische Umgebung krank machen.

Der Stadt-Stress begünstigt psychische Erkrankungen

„Der Einfluss der Städte auf die psychische Gesundheit ist ambivalent“1, so der Chefarzt der Fliedner Klinik Berlin und Psychiater Mazda Adli. Trotz der eben erwähnten Vorteile, welche das Wohnen in urbaner Gegend mit sich bringt, gilt auch als gesichert, dass das Stadtleben belastend auf die Psyche wirkt: Im Detail ist das Risiko bei Stadtbewohner*innen, eine psychische Krankheit zu entwickeln, um etwa 40 % höher als bei Menschen, die in ländlicher Umgebung beheimatet sind.2

Wesentlicher Faktor ist hier der allgemein höhere Stresspegel in der Stadt bzw. von städtischen Bewohner*innen. Dieser setzt sich dabei aus verschiedenen Einflussfaktoren zusammen, allen voran Lärm und Luftverschmutzung: Eine im Jahr 2019 durchgeführte Analyse mit Daten von 151 Millionen US-Amerikaner*innen ergab nämlich, dass schlechte Luft starke negative Wirkung auf die Psyche hat, sogar im Verdacht steht, bipolare Störungen zu begünstigen. Und Menschen, die ständigem Lärm ausgesetzt sind und sich davon auch gestört fühlen, haben gemäß weiteren Untersuchungen ein doppelt so hohes Risiko, psychisch krank zu werden, als jene, die nicht von anhaltenden Geräuschquellen umgeben sind.3

Ein weiterer nachteiliger Aspekt im Großstadtgefüge ist die soziale Vereinsamung trotz dichter Population – „Sozialer Stress“4, wie Adli erklärt. Die Anonymität in der Stadt – man lebt alleine, kennt in vielen Fällen die eigenen Nachbar*innen nicht – führt schlimmstenfalls zu fehlenden sozialen Kommunikationsquellen und schließlich zu Isolation und psychischen Erkrankungen.5

Im Generellen konnte anhand von Untersuchungen bereits nachgewiesen werden, dass Menschen, die in der Stadt leben, über eine allgemein ausgeprägtere Stressreaktion verfügen, weswegen auch angenommen wird, dass sie anfälliger für seelische Krankheiten, allen voran Angststörungen, Depressionen und Schizophrenie, sind als Landbewohner*innen.6

Das Stadtleben wirkt aber nicht ausschließlich negativ

Wie Adli aber betont: „Das Stadtleben allein zerstört nicht unsere Psyche“7, denn neben den genannten Risiken, welche die Urbanität mit sich bringt, spielen genauso genetische Faktoren (beispielsweise Vorerkrankungen innerhalb der Familie) oder ökonomische sowie persönlichkeitsbedingte Aspekte eine Rolle.8 Und außerdem gibt es durchaus auch positive Einflüsse des Stadtlebens: So kommen beispielsweise all jene, die in der Stadt aufgewachsen sind, mit kultureller Diversität sowie der damit einhergehenden Komplexität schon früh in Berührung und entwickeln somit auch einen anderen und positiveren gesellschaftlichen Zugang. Beobachtet werden konnte auch, dass Stadtbewohner*innen häufiger körperlich gesünder sind, was damit erklärt wird, dass der Zugang zu Gesundheitseinrichtungen oder Bildungsstätten leichter ist als auf dem Land.9

Dennoch: Das Landleben ist im Allgemeinen gesünder

Bestritten wird jedoch nicht, dass das Leben auf dem Land zahlreiche gesundheitliche Vorteile mit sich bringt und vor allem auf die Psyche besonders wohltuend wirkt, denn Studien konnten bereits belegen, dass alleine das Risiko, an Depressionen zu erkranken, bei Menschen vom Land um ca. 40 % niedriger ist als bei Städter*innen.10 Und auch Allergien aller Art sind gemäß Untersuchungen unter der ländlichen Bevölkerung weniger stark verbreitet als unter der städtischen.11 Nicht zu unterschätzen ist der Einfluss der Natur, denn als gesichert gilt ebenso, dass Naturräume die individuelle körperliche Verfassung, beispielsweise das Herz-Kreislauf-System, erheblich verbessern und auch das Risiko, an Krebs oder Diabetes zu erkranken, deutlich verringern.12 Aber auch hier gilt es, die Vorteile des Stadtlebens als Nachteil der ländlichen Idylle einzustufen: Ein eher spärliches kulturelles Angebot, weniger zur Verfügung stehende freie Arbeitsstellen, sodass häufig in die Stadt gependelt werden muss, und nicht zuletzt eine nicht so stark ausgeprägte Gesundheitsversorgung sowie eine geringere Anzahl an Bildungseinrichtungen.

Somit bieten beide Lebenswelten Vor- und Nachteile

Weil man sich der aber überwiegend positiven Einflüsse einer ländlichen bzw. natürlichen Umgebung auf Körper und Seele durchaus bewusst ist, plädieren Forscher*innen immer mehr für einen Ausbau der Grünanlagen in urbanen Gebieten, denn „jedes kleine städtische Grün ist gut für die Psyche“13, so Adli. Und dies hat auch mehrere Gründe, wie wissenschaftliche Untersuchungen bestätigen: Grünflächen wirken der sozialen Isolation in der Großstadt entgegen, wie die an der Humboldt-Universität zu Berlin tätige Geografin Nadja Kabisch erklärt: „Grünflächen laden dazu ein, vor die Tür zu gehen, sich zu bewegen und sich zu treffen“14. Des Weiteren dämpfen bepflanzte Plätze in Städten auch den Lärm und verringern die Luftverschmutzung.15 Und nicht zuletzt: Naturräume sind Balsam für die Seele.16

Deswegen wird auch der Appell zunehmend lauter, bewusst Grünflächen in Ballungszenten zu schaffen, um den negativen Einflussfaktoren des Stadtlebens entgegenzuwirken. Zum einen würde auf diese Art und Weise mehr Lebensraum für Flora und Fauna entstehen, zum anderen profitiert die Psyche der Städter*innen enorm von einer Vielzahl an Naturoasen in urbanen Gegenden.

 


1 Langosch, Nele: Verloren im Großstadtdschungel. In: spektrum.de. Veröffentlicht am 11.04.2020.
URL: https://www.spektrum.de/news/wie-das-leben-in-der-stadt-die-psyche-belastet/1718998 [Stand: 01.03.2022].

2 Vgl. Langosch, Nele: Verloren im Großstadtdschungel.
URL: https://www.spektrum.de/news/wie-das-leben-in-der-stadt-die-psyche-belastet/1718998 [Stand: 01.03.2022].

3 Vgl. Langosch, Nele: Verloren im Großstadtdschungel.
URL: https://www.spektrum.de/news/wie-das-leben-in-der-stadt-die-psyche-belastet/1718998 [Stand: 01.03.2022].

4 Langosch, Nele: Verloren im Großstadtdschungel.
URL: https://www.spektrum.de/news/wie-das-leben-in-der-stadt-die-psyche-belastet/1718998 [Stand: 01.03.2022].

5 Vgl. Langosch, Nele: Verloren im Großstadtdschungel.
URL: https://www.spektrum.de/news/wie-das-leben-in-der-stadt-die-psyche-belastet/1718998 [Stand: 01.03.2022].

6 Vgl. Schäfer, Susanne: Ist das Landleben gesünder als das in der Stadt? In: zeit.de. Veröffentlicht am 17.06.2014.
URL: https://www.zeit.de/zeit-wissen/2014/04/gesundheit-landleben-stadtleben [Stand: 01.03.2022].

7 Frisch, Julia: Macht das Stadtleben krank? In: aerztezeitung.de. Veröffentlicht am 11.12.2017.
URL: https://www.aerztezeitung.de/Politik/Macht-das-Stadtleben-krank-308116.html [Stand: 01.03.2022].

8 Vgl. Frisch, Julia: Macht das Stadtleben krank?
URL: https://www.aerztezeitung.de/Politik/Macht-das-Stadtleben-krank-308116.html [Stand: 01.03.2022].

9 Vgl. jala / ajo / dpa: Stress-Forscher: Das Stadtleben macht psychisch krank – doch es gibt einen Ausweg. In: focus.de. Veröffentlicht am 05.06.2019.
URL: https://www.focus.de/gesundheit/ratgeber/gesundheit-stressforscher-stadtleben-macht-psychisch-krank-doch-sie-koennen-gegensteuern_id_10764505.html [Stand: 01.03.2022].

10 Vgl. Hagemann, Andreas: Macht das Landleben wirklich glücklich? In: privatlinik-merbeck.de. Veröffentlicht am 29.06.2021.
URL: https://www.privatklinik-merbeck.de/blog/was-ist-eigentlich-eine-versteckte-depression/ [Stand: 01.03.2022].

11 Vgl. Schäfer, Susanne: Ist das Landleben gesünder als das in der Stadt?
URL: https://www.zeit.de/zeit-wissen/2014/04/gesundheit-landleben-stadtleben [Stand: 01.03.2022].

12 Vgl. Claßen, Thomas / Bunz, Maxie: Einfluss von Naturräumen auf die Gesundheit – Evidenzlage und Konsequenzen für Wissenschaft und Praxis. In: Springer Link. Veröffentlicht am 16.05.2018.
URL: https://link.springer.com/article/10.1007/s00103-018-2744-9 [Stand: 01.03.2021].

13 Langosch, Nele: Verloren im Großstadtdschungel.
URL: https://www.spektrum.de/news/wie-das-leben-in-der-stadt-die-psyche-belastet/1718998 [Stand: 01.03.2022].

14 Langosch, Nele: Verloren im Großstadtdschungel.
URL: https://www.spektrum.de/news/wie-das-leben-in-der-stadt-die-psyche-belastet/1718998 [Stand: 01.03.2022].

15 Vgl. Langosch, Nele: Verloren im Großstadtdschungel.
URL: https://www.spektrum.de/news/wie-das-leben-in-der-stadt-die-psyche-belastet/1718998 [Stand: 01.03.2022].

16 Lesen Sie mehr über die positiven Wirkungsweisen der Biodiversität in unserem Blogbeitrag vom 02.06.2021 Die Einflüsse der Biodiversität auf das Wohlbefinden »»

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Veröffentlicht am: 13.04.2022