Kraft durch eigene Stärke – Das Konzept des Empowerment praktisch anwenden

 

Die eigenen Fähigkeiten erkennen und von ihnen Gebrauch machen, so die Philosophie des Empowerment. Nicht nur Menschen mit psychischen Erkrankungen lernen auf diese Weise, Ressourcen zu mobilisieren – auch Gesunde sollten sich speziell in herausfordernden Zeiten die persönlichen Stärken bewusst machen.

Positive Gedanken formulieren, sich auf die eigenen Stärken besinnen, das Leben selbstbestimmt und erfüllend gestalten – immer wieder begegnen wir diesen Motivationsphrasen und gerade in der aktuell angespannten Zeit werden sie uns wie ein Mantra eingeflößt. Der Grund dafür ist klar: Außergewöhnliche Situationen machen bewusst, wie wichtig es ist, auf sich selbst zu achten und sich nicht aufzugeben.

Zahlreiche Tipps und Tricks für das eigene Wohlbefinden, ob nun psychisch oder physisch, scheinen jedoch fast schon ‚abgedroschen‘ und im Grunde wissen wir, was zu tun ist, damit es uns langfristig gut geht. Aber warum wird dann trotzdem immer wieder darauf hingewiesen? Die Antwort darauf – wir wenden sie dennoch zu selten an.

Dabei ist es gerade jetzt von Wichtigkeit, innere Stärke zu entfalten.

Nach einem Jahr verlangt uns die Corona-Krise immer noch sehr viel ab und die anfänglichen psychischen Belastungen haben sich im Laufe der Zeit nun auch zu schwerwiegenden Erkrankungen wie Depressionen oder Angstzuständen sowohl bei Erwachsenen als auch bei Kindern und Jugendlichen ausgebildet.1 Diese dramatische Entwicklung geht mit den fehlenden sozialen Kontakten einher und inkludiert auch das eingeschränkte bzw. nicht verfügbare Freizeitangebot oder die wirtschaftlich prekären Umstände.

Wie soll man aber einer solchen Situation überhaupt etwas Positives abgewinnen und wie weiterhin eigenmächtig handeln, wenn wir in unserem Tun dermaßen eingeschränkt sind, ja sogar ein Gefühl von Kontrollverlust erleiden? In der Psychologie und Sozialpsychiatrie dient hierbei ein eigenes Konzept dazu, sich auf sich selbst zu besinnen und Selbstbestimmung wiederzuerlangen – Empowerment.

Die Bewältigung von psychischen Belastungen und das Vertrauen in die eigene Stärke.

In einem fachwissenschaftlichen Kontext findet dieser Begriff Verwendung, um zum Ausdruck zu bringen, dass Menschen mit psychischen Erkrankungen ihr Leben selbst in die Hand nehmen anstatt als benachteiligt oder bedürftig zu gelten. Und die Übersetzung des Terminus bringt diese Theorie noch deutlicher zum Ausdruck – Selbstbemächtigung, Selbstermächtigung oder Selbstbefähigung.2

In der Sozialpsychiatrie geht es dabei aber nicht nur darum, dass Menschen mit psychischen Krankheiten selbstbestimmt und eigenverantwortlich leben und dazu die eigenen Ressourcen aktivieren, sondern dass sie sich auch nicht vom Umfeld vorschreiben lassen, wie diese Ermächtigung erreicht werden kann oder soll. Professionell ausgebildete Personen unterstützen beim Prozess des Empowerment, aber diktieren dabei keine vorgegebenen Regeln zur Erlangung der eigenen Selbstbefähigung. Im Gegenteil: Empowerment setzt auf das aktive Handeln der betroffenen Person; die Erfahrungen, welche dabei gemacht werden, fördern in weiterer Folge die eigene Kompetenz.3

Wie kann sich Empowerment überhaupt entfalten?

Aus sozialpsychiatrischer Sicht gibt es mehrere Faktoren, die zur Selbstbefähigung und -bestimmung beitragen und durch welche Empowerment zum Tragen kommt:4

  • Weg von der Krankheit, hin zur eigenen Stärke
    Immer wieder wird darüber gesprochen, dass innere Stärke Berge versetzen kann, und so verhält es sich auch im Rahmen des Empowerment. Der Glaube an die eigenen Fähigkeiten, um selbstbestimmt agieren zu können, führt zwangsläufig zu einer anderen, positiven Perspektive.
  • Partnerschaft zwischen Betroffenen und professionellen Personen
    Die professionelle Hilfe soll im Zuge der Selbstbefähigung eben nur als Unterstützung dienen, jedoch nicht weisungsgebunden sein. Somit entsteht eine Kooperation zwischen den beiden Parteien, womit die hierarchische Ebene durchbrochen wird und erst auf diese Art und Weise eine ‚Hilfe zur Selbsthilfe‘ eintreten kann.
  • Die ‚erlernte Hilflosigkeit‘ ablegen
    Der Ansatz der erlernten Hilflosigkeit besagt nämlich, dass Menschen dann depressiv werden, wenn sie der Ansicht sind, keine Kontrolle über das gegenwärtige Geschehen zu haben, sie jedoch für diese Hilfslosigkeit selbst verantwortlich sind. Somit ist es eine wichtige Aufgabe, diese Annahme zu widerlegen und das Gefühl zu stärken, die gegebenen Lebensbedingungen selbst beeinflussen zu können.
  • Soziales Netzwerk
    Nicht nur der Kontakt zu professionell ausgebildeten Menschen oder der Austausch in Selbsthilfegruppen ist für Betroffene von Wichtigkeit; auch die Unterstützung von Vertrauten und Bekannten zur Bewältigung von Problemen, Krisen oder Krankheiten ist im Zuge des Empowerment unabdingbar. Soziale Interaktionen ermöglichen andere Sichtweisen hinsichtlich scheinbar aussichtsloser Situationen und in weiterer Folge das (Wieder-)Erlangen der eigenen Selbstbefähigung.
  • Befreiung von Bedürftigkeit
    Empowerment beschreibt unter anderem die Lossagung von einer vermeintlichen Bedürftigkeit von Kranken. Erst dadurch können Betroffene ihre eigenen Stärken und Kompetenzen bewusst wahrnehmen und sich auf diese besinnen, um selbstbestimmt zu handeln.

Die Selbstbefähigung und -bestimmung ist der wichtigste Teil des Lebens.

Nicht nur Betroffene lernen im Zuge des Empowerment, ihre Diagnose nicht mehr über die eigenen Stärken und vorhandenen Ressourcen zu stellen – auch für gesunde Menschen ist es wichtig, in schwierigen Zeiten auf individuelle Fähigkeiten zu vertrauen und zurückzugreifen, um Krisen zu bewältigen. Wenn das Gefühl der Hilflosigkeit nämlich überhandnimmt, dann führt der daraus resultierende Stress zu scheinbar unlösbaren Problemen. Vergessen werden damit die inneren Kräfte zur Überwindung von Extremsituationen.

Aber gerade dann ist es wichtig, das Gefühl der Ohnmacht abzulegen und Kontrolle wiederzuerlangen. Die Philosophie des Empowerment gilt demnach nicht nur für Betroffene. Damit das psychische Wohlbefinden aufrechtbleibt, ist es notwendig, sich selbst nicht aufzugeben, sondern sich helfen zu lassen, um sich selbst helfen zu können. Erst dann ist es möglich, eine Krise zu überwinden und aus ihr gestärkt hervorzugehen.

Die banal erscheinenden Tipps und Tricks für mehr psychische Gesundheit vor allem in schweren Zeiten sowie die Ratschläge zur Überwindung von alltäglichen Hindernissen, die uns derzeit gehäuft begegnen, sollten deswegen nicht einfach nur zur Kenntnis genommen werden. Durch das Befolgen von simplen Möglichkeiten, sich selbst etwas Gutes zu tun, vor allem aber durch das Besinnen auf die eigenen Stärken werden Ressourcen freigesetzt, die dabei helfen, Krisen zu meistern und seelisch gesund zu bleiben.

 


1 Vgl. Zrost, Birgit / Bernhart, Katharina: Krise: Weiterer Anstieg bei Depressionen. In: orf.at. Veröffentlicht am 27.01.2021.
URL: https://noe.orf.at/stories/3087196/ [Stand: 04.03.2021].

2 Vgl. Plaute, Wolfgang: Empowerment – Philosophie für alle. In: pro mente austria. Zeitschrift des österreichischen Dachverbands der Vereine und Gesellschaften für psychische und soziale Gesundheit 2/2002, S. 5.

3 Vgl. Stark, Wolfgang: Empowerment. In: Dorsch. Lexikon der Psychologie. Zuletzt geändert am 10.02.02021.
URL: https://dorsch.hogrefe.com/stichwort/empowerment [Stand: 04.03.2021].

4 Vgl. H. K.: Empowerment. In: Spektrum.de.
URL: https://www.spektrum.de/lexikon/psychologie/empowerment/4089 [Stand: 04.03.2021].

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Veröffentlicht am: 24.03.2021