Hochsensibilität – Wenn man von Reizen überflutet wird

 

Der noch relativ junge Forschungsgegenstand der Hochsensibilität wird immer intensiver diskutiert, vor allem auch dahin gehend, ob diese Eigenschaft tatsächlich nur negativ zu betrachten ist oder doch erfüllend in den Alltag integriert werden kann.

Unsere Gefühle und Emotionen mit all ihren unterschiedlichen und gleichzeitig individuellen Ausprägungen machen uns zu einmaligen Persönlichkeiten. Dabei reagieren die einen auf bestimmte Ereignisse intensiver als andere, was auf die Sensibilität im Generellen zurückzuführen ist. Der Begriff umfasst die Summe von alltäglichen Wahrnehmungen – Sinneseindrücke genauso wie das Empfinden von Gefühlen, die eigenen Gedanken oder den Umgang mit den Mitmenschen und die dabei ausgelösten Emotionen. Wie stark die Sensibilität tatsächlich ausgeprägt ist, hängt vom eigenen Temperament ab, also von all jenen Eigenschaften, die im Laufe des Lebens erlernt bzw. auch zu einem gewissen Grad vererbt werden. Ebenso nehmen bestimmte Lebensereignisse, die Erziehung oder das soziale Umfeld Einfluss auf die eigene Sensibilität und verursachen unterschiedlichste Gefühle je nach individueller Beschaffenheit einer Person.1 Wenn sich diese Emotionen aber nicht mehr in einem adäquaten Rahmen bewegen, dann spricht man von Hochsensibilität.

Reize werden um ein Vielfaches intensiver wahrgenommen.

Der Begriff geht auf die amerikanische Psychologin Elaine N. Aron zurück, die in ihrer Forschung die Eigenschaft der Sensitivität untersucht, also die Empfindsamkeit von Menschen gegenüber Reizeinflüssen von innen (zB. Gefühle) und außen (die Umwelt im Allgemeinen). Werden diese Reize nun intensiver als gewöhnlich wahrgenommen, dann wird dies dem Persönlichkeitsmerkmal der Hochsensibilität zugeschrieben.2 Dabei handelt es sich um keine psychische Erkrankung; sie kann aber durchaus zu einer solchen führen.3

Ausgegangen wird davon, dass etwa 20 % aller Menschen weltweit hochsensibel sind.4 Man fühle sich „wie ein ‚Schwamm‘, der alle Eindrücke und die Emotionen anderer Menschen um sich herum aufsaugt und immer voller und schwerer wird“5, wie die betroffene Julia Fischer in einem Interview mit der Tageszeitung Kurier erzählt. Konkret können die folgenden Eigenschaften beobachtet werden:6

  • Betroffene nehmen die Umwelt und ihre Details intensiver wahr,
  • die Sinneseindrücke werden in einem stärkeren Ausmaß verarbeitet,
  • gefühlsbasierte Reaktionen sind ausgeprägter als üblich und
  • eine Überforderung aufgrund der erhöhten Wahrnehmung von Reizen ist wahrscheinlicher.

Hochsensibilität äußert sich auch durch bestimmte Charaktereigenschaften.

Die Veranlagung zu Hochsensibilität nimmt nicht nur Einfluss auf die Wahrnehmungsfähigkeit im Generellen, sondern zeigt sich auch an der Wesensart der betroffenen Person, weswegen mit der Hochsensibilität auch weitere Persönlichkeitsmerkmale einhergehen:7

  • Hohe Begeisterungsfähigkeit,
  • ausgeprägte Eigenverantwortung mit dem damit verbundenen Wunsch nach Unabhängigkeit,
  • Empathie und ein gutes Einfühlungsvermögen mit dem Nachteil, dass die Stimmung anderer einen großen Einfluss auf den eigenen Gemütszustand nimmt,
  • starker Sinn nach Gerechtigkeit,
  • Perfektionismus,
  • Harmoniebedürfnis etc.

Daneben verfügen hochsensible Menschen über eine vielfältige Fantasie und sind zu vielschichtigen Gedankengängen fähig, nehmen Gefühle sowie physische Veränderungen stärker wahr und bemerken auch in der natürlichen Umgebung Details, die vielen oftmals verborgen bleiben. Auch Kunstformen wie Musik haben einen großen und emotionalen Einfluss auf Personen mit Hochsensibilität. Sie neigen aber auch zu einer ausgeprägten Selbstreflexion sowie dazu, das Erlebte länger emotional verarbeiten zu müssen, und haben Schwierigkeiten mit gewohnten, starren Strukturen.8

Weil Betroffene hauptsächlich von einer beinahe nicht zu bewältigenden Reizüberflutung berichten, muss ein Ausgleich geschaffen werden, um den Stress entsprechend zu reduzieren.

Rückzugsmöglichkeiten sind deswegen umso wichtiger.

Denn ohne sie können die vielfältigen Sinneseindrücke schnell zur psychischen Belastung werden und in weiterer Folge auch psychische Erkrankungen auslösen. Die noch junge Forschung geht nämlich davon aus, dass Menschen mit Hochsensibilität häufiger an Depressionen erkranken, unter Angststörungen leiden oder auch Schmerzen verstärkt wahrnehmen.9

Deswegen benötigen Betroffene auch öfter Rückzugsräume, um das Wahrgenommene zu verarbeiten und um sich davon auch zu erholen. Geachtet werden sollte auf eine für die Person optimale Umgebung fern von Lärm oder anderen reizauslösenden Eindrücken. Empfohlen wird auch die regelmäßige Bewegung oder die Anwendung von verschiedensten Entspannungstechniken wie beispielsweise der Progressiven Muskelentspannung zur Reduzierung von Stress. Wenn die Belastung jedoch zu groß wird, so sollten Betroffene auch Hilfe von Psychotherapeut*innen oder klinischen Psycholog*innen in Anspruch nehmen. Gemeinsam werden sodann Maßnahmen zu einem besseren Umgang mit der eigenen Hochsensibilität erarbeitet, welche im Alltag angewendet werden können.10

Hochsensibilität kann nämlich auch eine sehr positive Eigenschaft sein.

Denn sowohl in beruflicher wie auch in privater Hinsicht bringt dieses Persönlichkeitsmerkmal durchaus Vorteile mit sich. Die ausgeprägten Wahrnehmungsfähigkeiten sowie der Perfektionismus und das tiefergehende Reflexionsvermögen sind dabei Eigenschaften, die gut in den Arbeitsalltag integriert werden können,11 beispielsweise wenn alternative bzw. kreative Lösungswege erarbeitet oder bestimmte Prozesse optimiert und effektiv gestaltet werden müssen. Außerdem können hochsensible Menschen von den schönen Dingen tiefer berührt werden, beispielsweise von der Kunst, der Natur oder von Aspekten die zwischenmenschliche Beziehung betreffend.12 Julia Fischer rät Betroffenen deswegen, „das eigene Leben selbstwirksam zu gestalten und sich eine Umgebung zu schaffen, in der man seine sanfte Stärke gut nutzen und ausleben kann“13.

Demgemäß sollten Betroffene nicht damit hadern, über eine ausgeprägte Hochsensibilität zu verfügen, sondern diese Eigenschaft als eine persönliche Stärke anerkennen. Damit die positiven Aspekte auch bestmöglich genutzt werden, sollten Personen den richtigen Umgang mit ihr erlernen und ausreichend Ruhezeit zur Verarbeitung der vielfältigen Sinneseindrücke und zur Sortierung der Gedanken einplanen, um übermäßigem Stress vorzubeugen. Sodann wird Hochsensibilität nicht mehr als belastendes Persönlichkeitsmerkmal toleriert, sondern als gewinnbringende Eigenschaft akzeptiert.

 


1 Vgl. Öffentliches Gesundheitsportal Österreichs: Hochsensibilität. Zuletzt aktualisiert am 06.11.2020.
URL: https://www.gesundheit.gv.at/leben/psyche-seele/gesundheit/hochsensibilitaet [Stand: 22.06.2021].

2 Vgl. Öffentliches Gesundheitsportal Österreichs: Hochsensibilität.
URL: https://www.gesundheit.gv.at/leben/psyche-seele/gesundheit/hochsensibilitaet [Stand: 22.06.2021].

3 Vgl. Hiertz, Carmen: 6 Fragen zu Hochsensibilität.
URL: https://www.minimed.at/medizinische-themen/psyche/hochsensibilitaet/ [Stand: 22.06.2021].

4 Vgl. Gschmeidler, Julia: Gefühlsexplosion: Wie sich Hochsensibilität anfühlt. In: kurier.at. Veröffentlicht am 21.02.2019.
URL: https://kurier.at/gesund/gefuehlsexplosion-wie-sich-hochsensibilitaet-anfuehlt/400412687 [Stand: 22.06.2021].

5 Gschmeidler, Julia: Gefühlsexplosion: Wie sich Hochsensibilität anfühlt.
URL: https://kurier.at/gesund/gefuehlsexplosion-wie-sich-hochsensibilitaet-anfuehlt/400412687 [Stand: 22.06.2021].

6 Vgl. Öffentliches Gesundheitsportal Österreichs: Hochsensibilität.
URL: https://www.gesundheit.gv.at/leben/psyche-seele/gesundheit/hochsensibilitaet [Stand: 22.06.2021].

7 Vgl. Hiertz, Carmen: 6 Fragen zu Hochsensibilität. In: minimed.at. Zuletzt geändert am 17.08.2020.
URL: https://www.minimed.at/medizinische-themen/psyche/hochsensibilitaet/ [Stand: 22.06.2021].

8 Vgl. Hiertz, Carmen: 6 Fragen zu Hochsensibilität.
URL: https://www.minimed.at/medizinische-themen/psyche/hochsensibilitaet/ [Stand: 22.06.2021].

9 Vgl. Öffentliches Gesundheitsportal Österreichs: Hochsensibilität.
URL: https://www.gesundheit.gv.at/leben/psyche-seele/gesundheit/hochsensibilitaet [Stand: 22.06.2021].

10 Vgl. Öffentliches Gesundheitsportal Österreichs: Hochsensibilität.
URL: https://www.gesundheit.gv.at/leben/psyche-seele/gesundheit/hochsensibilitaet [Stand: 22.06.2021].

11 Vgl. Hiertz, Carmen: 6 Fragen zu Hochsensibilität.
URL: https://www.minimed.at/medizinische-themen/psyche/hochsensibilitaet/ [Stand: 22.06.2021].

12 Vgl. Gschmeidler, Julia: Gefühlsexplosion: Wie sich Hochsensibilität anfühlt.
URL: https://kurier.at/gesund/gefuehlsexplosion-wie-sich-hochsensibilitaet-anfuehlt/400412687 [Stand: 22.06.2021].

13 Gschmeidler, Julia: Gefühlsexplosion: Wie sich Hochsensibilität anfühlt.
URL: https://kurier.at/gesund/gefuehlsexplosion-wie-sich-hochsensibilitaet-anfuehlt/400412687 [Stand: 22.06.2021].

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Veröffentlicht am: 21.07.2021