Gewaltfrei kommunizieren

 

Das Beilegen eines Streits gestaltet sich manchmal schwierig, vor allem dann, wenn auf grundlegende Kommunikationsregeln vergessen wird. Mithilfe der Methode der gewaltfreien Kommunikation lassen sich Konflikte jedoch wertschätzend und respektvoll deeskalieren.

Im Zuge von Konflikten und Auseinandersetzungen bis hin zu ausgewachsenen Streitigkeiten kochen manchmal die Emotionen über, und so kann schon einmal die eine oder andere Schuldzuweisung oder abwertende Aussage getätigt werden, manchmal begleitet von lautem Geschrei. Vielleicht wirft man in der Hitze des Gefechts dem Gegenüber Worte an den Kopf, die nachhaltig kränken und nicht mehr so einfach zurückgenommen werden können. Aber wie vermeidet man ebendiese Situationen, ohne den Konflikt beiseitezuschieben? Denn „[e]twas einfach hinunterzuschlucken ist genauso kontraproduktiv wie ein Angriff“1, sagt der Kommunikations- und Empathietrainer Peter Pressnitz aus Wien. Ist es überhaupt möglich, stets rücksichtsvoll zu diskutieren? Ja, sagen Expert*innen wie Kathy Weber: „Es gibt eine Technik, die allen hilft: Die vier Schritte der gewaltfreien Kommunikation“2. Weber selbst ist Elternberaterin und ausgebildete Trainerin auf diesem Gebiet. Aber was bedeutet gewaltfreie Kommunikation überhaupt?

Für jeden Konflikt eine sachliche Lösung finden

Die Methode bzw. das Handlungskonzept der gewaltfreien Kommunikation (auch empathische oder einfühlsame Kommunikation genannt) wurde in den 1960er Jahren von Marshall B. Rosenberg entwickelt und intendiert eine offene, gute und verständnisvolle Kommunikation. Hinter dem Konzept steckt die Annahme, dass zwischenmenschliche Konflikte entstehen, weil Bedürfnisse unzureichend oder falsch kommuniziert werden: Entweder verbalisieren wir Gefühle nicht und ziehen uns deswegen von einer Streitsituation gänzlich zurück oder wir greifen unser Gegenüber verbal an.3 Dadurch „verlieren wir den Kontakt zu unseren eigenen Gefühlen und Bedürfnissen, aber auch zu unseren Partnern, Kindern oder Kollegen“4, sagt Pressnitz. Durch gewaltfreie Kommunikation sollen Meinungsverschiedenheiten sachlich bzw. sogar friedlich aufgelöst werden können.5

Die zwei Säulen der gewaltfreien Kommunikation

Das niveauvolle, sachliche Diskutieren auf Augenhöhe geschieht dabei unter Berücksichtigung zweier Elemente bzw. Säulen, nämlich auf Basis von Aufrichtigkeit und Empathie: Die streitenden Parteien müssen sich einerseits um einen authentischen Selbstausdruck bemühen, also die eigenen Gefühle und Bedürfnisse kundtun, andererseits auch zuhören und sich in die Lage des Gegenübers hineinversetzen – also Empathie zeigen.6 Auf diese Weise habe man sich „selbst ebenso im Blick wie [das] Gegenüber und dadurch sind […] beide gleichwürdig“7, fasst der in Ravensburg tätige Trainer für gewaltfreie Kommunikation Thomas Stelling zusammen.

Vom Wolf zur Giraffe

Häufig passiert es nämlich, dass wir inmitten eines Konflikts oder gar schon lautstarken Streits das Gegenüber mit Vorwürfen konfrontieren, die eigenen Empfindungen aggressiv vertreten und jene der anderen Person außer Acht lassen, wodurch sie in die Defensive gerät. Rosenberg beschreibt diese Art der Kommunikation in seinem Konzept als Wolfssprache. Angestrebt werden soll jedoch die sogenannte Giraffensprache: Wie das Tier selbst – friedvoll und aufgrund der Größe alles überblickend – beruht diese Rolle auf Respekt und Wertschätzung in der Kommunikation. Mittels Giraffensprache versetzt man sich in das Gegenüber hinein und versucht, auch dessen Situation zu verstehen bzw. nachzuvollziehen. Nicht jede Aussage wird persönlich genommen, ein Schwarz-Weiß-Denken/-Sehen steht nicht im Vordergrund.8

Bedürfnisse zum Ausdruck bringen

Ist man gewillt, frei von Vorwürfen, verbalen Attacken und fern von überbordenden Emotionen zu kommunizieren, dann bietet gewaltfreie Kommunikation auch eine konkrete Handlungsanleitung, wie Konflikte ruhig und sachlich ausgetragen werden können. Dabei gilt die folgende Faustregel: Beobachte ich a, dann fühle ich b, weil ich c benötige, und bitte deswegen um d.9 Im Detail gliedert sich gewaltfreie Kommunikation wie folgt:10

  1. Neutrale Beobachtung
    Zuerst stellt man eine neutrale Beobachtung an und verbalisiert diese auch. Konkret an einem Beispiel dargelegt – die Mitbewohnerin hat entgegen des Putz- und Waschplans nicht staubgesaugt –, könnte diese Beobachtung wie folgt aussehen: „Offenbar wurde nicht staubgesaugt – da liegen Krümel auf dem Boden“.
  2. Gefühle mitteilen
    Sodann sollte gleich die Gefühlsebene einfließen: Man erläutert, was diese neutrale Beobachtung mit einem selbst anstellt (Ich-Botschaft), ohne dabei in eine anklagende Position zu verfallen, beispielsweise mit dem Satz „Wenn der Boden schmutzig ist, fühle ich mich zu Hause nicht wohl“.
  3. Bedürfnisse zum Ausdruck bringen
    Im nächsten Schritt muss erläutert werden, warum die Beobachtung die entsprechenden Gefühle hervorruft und welches Bedürfnis dahintersteckt, beispielsweise indem man sagt: „Deswegen ist mir Ordnung zu Hause eben sehr wichtig“.
  4. Bitte formulieren
    Zuletzt äußern wir unseren Wunsch bzw. eine Bitte, damit das Gegenüber das Bedürfnis befriedigen kann, stellen aber keine Forderung und bemühen uns um einen höflichen Tonfall, indem wir beispielsweise sagen: „Könntest du bitte heute staubsaugen?“

Wird ebendieses Kommunikationsschema eingehalten – die Situation beobachten, die eigenen Gefühle zum Ausdruck bringen, das Bedürfnis äußern und eine Bitte aussprechen –, dann bewegen sich die Gesprächsparteien auf einem wertschätzenden Niveau in der Kommunikation und gegenseitiger Respekt wird entgegengebracht. Und auch wenn das Schema nicht immer die volle Wirkung erzielt, so belegen Studien, dass gewaltfreie Kommunikation das Einfühlungsvermögen stärkt, also Empathie schult, da in einem Konflikt auf die Gefühle und Empfindungen der anderen Person Rücksicht genommen wird, anstatt sie mittels Vorwürfe in einen Verteidigungsmodus zu drängen.11

Grenzen der gewaltfreien Kommunikation

Abgesehen davon, dass für gelungene gewaltfreie Kommunikation beide Gesprächsparteien einander mit Empathie und Aufrichtigkeit begegnen müssen, können bestimmte Beziehungskonstellationen das respektvolle Miteinander jedoch gefährden. Bemüht man sich beispielsweise über einen längeren Zeitraum um gewaltfreie Kommunikation, das Gegenüber aber nicht, wodurch Unmut in der zwischenmenschlichen Beziehung entsteht und zunimmt, sollte darüber nachgedacht werden, die Beziehungskonstellation zu überdenken. Schwierig gestaltet sich die Kommunikationsmethode auch mit Menschen, die beispielsweise an traumatischen Erlebnissen oder an einer Persönlichkeitsstörung leiden – auch hier könnte es Schwierigkeiten geben, die Prinzipien der gewaltfreien Kommunikation einzuhalten bzw. zu befolgen.12

Im Generellen gilt jedoch, in jeder Situation und vor allem während eines Konfliktes oder Streits auf Augenhöhe und respektvoll sowie wertschätzend zu kommunizieren, die eigenen Bedürfnisse kundzutun, aber auch zu versuchen, jene des Gegenübers nachzuvollziehen. Es lohnt sich also jedenfalls, sich permanent darin zu üben, das Modell der gewaltfreien Kommunikation nach Rosenberg als Orientierung in Streitgesprächen heranzuziehen. Von dessen flexibler, einfacher Handhabung profitiert nicht nur der*die Gesprächspartner*in, indem ihm*ihr Empathie entgegengebracht wird, sondern auch wir selbst ziehen einen enormen Nutzen daraus, weil wir uns mit den eigenen Gefühlen auseinandersetzen und lernen, diese offen zu kommunizieren.

 


1 Kupsa, Nadja: Gewalt in der Kommunikation: Unbemerkt und folgenschwer. In: derstandard.at. Veröffentlicht am 28.04.2020.
URL: https://www.derstandard.at/story/2000117156310/gewalt-in-der-kommunikation-unbemerkt-und-folgenschwer [Stand: 17.06.2025].

2 Kaffka, Lenne: Was sage ich, wenn mein Kind die Rutsche blockiert? In: spiegel.de. Veröffentlicht am 03.07.2021.
URL: https://www.spiegel.de/familie/gewaltfreie-kommunikation-wie-rede-ich-empathischer-mit-meinem-kind-a-07a364ff-de3d-40e7-8b6a-386281756cab [Stand: 17.06.2025].

3 Vgl. Altmann, Tobias: Kommunikation, gewaltfreie. In: dorsch.hogrefe.com. Aktualisiert am 17.11.2021.
URL: https://dorsch.hogrefe.com/stichwort/kommunikation-gewaltfreie [Stand: 17.06.2025] und
vgl. Kupsa, Nadja: Gewalt in der Kommunikation: Unbemerkt und folgenschwer.
URL: https://www.derstandard.at/story/2000117156310/gewalt-in-der-kommunikation-unbemerkt-und-folgenschwer [Stand: 17.06.2025].

4 Kupsa, Nadja: Gewalt in der Kommunikation: Unbemerkt und folgenschwer.
URL: https://www.derstandard.at/story/2000117156310/gewalt-in-der-kommunikation-unbemerkt-und-folgenschwer [Stand: 17.06.2025].

5 Vgl. Winter, Sarah: Gewaltfreie Kommunikation nach Rosenberg: So funktioniert das Konzept. In: focus.de. Veröffentlicht am 19.09.2023.
URL: https://praxistipps.focus.de/gewaltfreie-kommunikation-nach-rosenberg-so-funktioniert-das-konzept_132180 [Stand: 17.06.2025].

6 Vgl. Hasselbeck, Katrhin / Teuthorn, Christina: Wertschätzung statt Manipulation. In: br.de. Veröffentlicht am 13.02.2015.
URL: https://www.br.de/radio/bayern2/sendungen/radiowissen/psychologie/gewaltfreie-kommunikation-rosenberg100.html [Stand: 17.06.2025].

7 Stelling, Thomas: „Durch GFK ist eine neue Art von Führung möglich“. Kindergarten heute 1/2023. In: herder.de.
URL: https://www.herder.de/kiga-heute/leitungsheft/archiv/2023-16-jg/1-2023/durch-gfk-ist-eine-neue-art-von-fuehrung-moeglich-interview-mit-thomas-stelling-trainer-fuer-gewaltfreie-kommunikation/ [Stand: 17.06.2025].

8 Vgl. Welling, Kira: Wolfssprache: Definition und Infos zur gewaltfreien Kommunikation. In: praxistipps.focus.de. Veröffentlicht am 19.04.2023.
URL: https://praxistipps.focus.de/wolfssprache-definition-und-infos-zur-gewaltfreien-kommunikation_159793 [Stand: 17.06.2025] und
vgl. von Sydow, Elisabeth: Giraffensprache: Das steckt hinter der Methode aus der gewaltfreien Kommunikation. In: praxistipps.focus.de. Veröffentlicht am 24.03.2022.
URL: https://praxistipps.focus.de/giraffensprache-das-steckt-hinter-der-methode-aus-der-gewaltfreien-kommunikation_143634 [Stand: 17.06.2025].

9 Vgl. Doyle, Claudia: Wie man sich im Streit höflich, aber bestimmt ausdrückt. GEO kompakt 63/2023.
URL: https://www.geo.de/wissen/gesundheit/gewaltfreie-kommunikation-wie-man-sich-im-streit-hoeflich-aber-bestimmt-30172670.html [Stand: 17.06.2025].

10 Vgl. Kratzer, Anne: Übungsplatz: Gewaltfreie Kommunikation. In: psychologie-heute.de. Veröffentlicht am 08.10.2021.
URL: https://www.psychologie-heute.de/leben/artikel-detailansicht/41519-uebungsplatz-gewaltfreie-kommunikation.html [Stand: 17.06.2025] und
vgl. Winter, Sarah: Gewaltfreie Kommunikation nach Rosenberg: So funktioniert das Konzept.
URL: https://praxistipps.focus.de/gewaltfreie-kommunikation-nach-rosenberg-so-funktioniert-das-konzept_132180 [Stand: 17.06.2025].

11 Vgl. Bayern 1: Wenn der Partner Kritik immer falsch versteht. In: br.de. Veröffentlicht am 12.05.2025.
URL: https://www.br.de/radio/bayern1/gewaltfreie-kommunikation-134.html [Stand: 17.06.2025].

12 Vgl. Doyle, Claudia: Wie man sich im Streit höflich, aber bestimmt ausdrückt.
URL: https://www.geo.de/wissen/gesundheit/gewaltfreie-kommunikation-wie-man-sich-im-streit-hoeflich-aber-bestimmt-30172670.html [Stand: 17.06.2025] und
vgl. Bayern 1: Wenn der Partner Kritik immer falsch versteht.
URL: https://www.br.de/radio/bayern1/gewaltfreie-kommunikation-134.html [Stand: 17.06.2025].

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Veröffentlicht am: 25.06.2025