Getrübtes Mutterglück – Prä- und postnatale Depression

 

Unbändige Glücksgefühle, wenn man den neuesten Familienzuwachs in den Armen hält, stellen sich ein – so zumindest die allgemeine Annahme. Dass viele Frauen mit depressiven Verstimmungen vor und nach der Geburt zu kämpfen haben und sogar an schweren Depressionen erkranken können, wird häufig thematisch ausgeklammert.

Das Gründen einer eigenen Familie und die Geburt eines Kindes bedeuten für frischgebackene Eltern vor allem Freude – soweit medial vielfach suggeriert. Aber nicht immer gehen damit Glücksgefühle einher, denn auch das Gegenteil kann eintreten, und zwar häufiger als angenommen.

Die Schwangerschaft als psychische Belastung

Bereits vor der Geburt des Kindes können nämlich Symptome auftreten, die auf eine Schwangerschaftsdepression, die sogenannte pränatalen Depression, hindeuten. Angenommen wird, dass etwa 11 % der Schwangeren an einer pränatalen Depression leiden.1 Dies hängt vermutlich damit zusammen, dass in dieser Phase neben hormonellen Veränderungen auch lebensspezifische Fragen hinsichtlich Arbeit, Partnerschaft und Finanzen in den Vordergrund rücken und dahin gehend Sorgen entstehen. Daneben werden Schwangere häufig von Zweifeln geplagt, ob sie als Mutter überhaupt ‚geeignet‘ sind bzw. eine gute Mutter sein werden.2 Symptome wie Stimmungsschwankungen mit einhergehendem Motivationsverlust, negative Gedanken und allgemeine Freudlosigkeit erzeugen Stress, der in weiterer Folge das Baby belastet, womit das Risiko einer Frühgeburt oder für spätere Anpassungsschwierigkeiten das Kind betreffend höher ist.3

Eine Schwangerschaftsdepression tritt häufiger auf, wenn die werdende Mutter bereits in der Vergangenheit mit Depressionen zu kämpfen hatte. Des Weiteren können biologische (genetische) wie auch psychosoziale Faktoren (beispielsweise eine unglückliche Partnerschaft) die Krankheit begünstigen. Weil aber die in der Schwangerschaft auftretenden Stimmungsschwankungen im Allgemeinen auf die hormonellen Veränderungen zurückgeführt werden, bleibt die pränatale Depression häufig unerkannt.4 Anette Kersting, Direktorin an der Klinik und Poliklinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie des Universitätsklinikums Leipzig, rät deswegen Folgendes: „In Zweifelsfällen sollten sich Frauen immer Beratung suchen, am besten bei einem Facharzt oder Psychotherapeuten, der sich mit dem Krankheitsbild auskennt“5. Wird die pränatale Depression früh genug diagnostiziert, kann nämlich eine (intensive) psychotherapeutische Behandlung dabei helfen, Symptome zu lindern, ohne Medikamente einnehmen zu müssen; Unterstützung finden Betroffene auch in Selbsthilfegruppen, da hier ein Austausch mit anderen stattfindet, die mit ähnlichen Problemen zu kämpfen haben.6

Das Baby ist da – aber die Freude bleibt aus

Was hingegen als normal gilt, ist der sogenannte ‚Babyblues‘ nach der Geburt des Kindes, an dem etwa 75 % aller frischgebackenen Mütter leiden. Ausgegangen wird davon, dass vor allem der starke Hormonabfall für diese vorübergehende depressive Verstimmung verantwortlich ist, die in den ersten Tagen nach der Entbindung auftritt und maximal zwei Woche andauert. Bemerkbar macht sich der Babyblues neben Stimmungsschwankungen durch häufiges Weinen, Ängste oder Erschöpfungszustände. Und nicht nur Mütter sind davon betroffen, auch ca. 5 bis 10 % der Väter werden aufgrund von Vernachlässigung und sozialen Einschränkungen, allgemeiner Verunsicherung und wegen der unbekannten neuen Lebensumstände von ähnlichen Symptomen geplagt.7

Vorbeugen kann man dieser depressiven Verstimmung, indem man mit der/dem Partner*in über die Sorgen und Ängste spricht und Vertraute in die Gefühlswelt einbindet. Des Weiteren empfiehlt sich der Austausch mit anderen Neo-Eltern, um Erfahrungen zu teilen und um neue Sichtweisen zu entwickeln. Professionelle Hilfe ist beim Babyblues nicht vonnöten, da er, wie angemerkt, in der Regel nach etwa zwei Wochen wieder nachlässt bzw. zur Gänze verschwindet.8 Anders verhält es sich jedoch bei anhaltender depressiver Verstimmung, denn diese kann auf eine schwere psychische Erkrankung hinweisen.

Die postnatale Depression als ernst zu nehmendes Krankheitsbild

Klingen die Babyblues-Symptome nach längerer Zeit nicht ab, muss davon ausgegangen werden, dass eine postnatale bzw. postpartale Depression vorliegt. Sie kennzeichnet sich vor allem durch Antriebs- und Freudlosigkeit, Schlaf- und Konzentrationsstörungen sowie durch Erschöpfungszustände. Auch zunehmende Ängstlichkeit sowie fortwährende Schuldgefühle können auf die Erkrankung hinweisen.9 Wie sich diese psychische Erkrankung außerdem bemerkbar macht, beschreibt Juliane rückblickend auf die Wochen bzw. Monate nach der Geburt ihres Sohnes: „Ich spürte keine Liebe für ihn“10. Sie erläutert, dass sie vor allem vom Verantwortungsgefühl für das Kind überwältigt worden sei und Angst gehabt habe, ebendiesem nicht gerecht zu werden. Des Weiteren sei die Fremdbestimmung erdrückend gewesen, weil ihr Sohn so viel Aufmerksamkeit benötigt habe.11

Obwohl etwa jede 7. Mutter in Österreich mit ähnlichen Empfindungen wie Juliana zu kämpfen hat, ist die postnatale Depression aufgrund des fast schon medialen Zwangs, glücklich sein zu müssen‚ immer noch ein Tabuthema und „sehr schambesetzt“12, wie die Psychotherapeutin Silvia Oddo-Sommerfeld ergänzt. Deswegen nehmen Betroffene häufig erst dann Hilfe in Anspruch, wenn die Erkrankung weiter fortgeschritten ist, neben Panikattacken und Herzrasen zusätzlich aggressive Zwangsgedanken dem Kind gegenüber auftreten.13 Und auch das Kind leidet unter dem Rückzug der Mutter, denn „[d]as spürt dieses, und seine Regulationsstörung verstärkt sich“14, so Kerstin Weidner, Direktorin der Klinik und Poliklinik für Psychotherapie und Psychosomatik in Dresden. Das Baby reagiert also auf die Gefühlswelt der Mutter beispielsweise mit übermäßigem Schreien,15 was wiederum die depressiven Symptome der Mutter verstärkt.

Bei postpartaler Depression besteht Handlungsbedarf

Damit Langzeitfolgen die Mutter und das Kind betreffend abgewendet werden, erfolgt entweder eine ambulante, bei schwerer depressiver Symptomatik auch eine stationäre Behandlung, immer individuell auf die Bedürfnisse der jeweiligen Patientinnen abgestimmt.16 Dabei hat sich gezeigt, dass die Unterstützung von Psychotherapeut*innen häufig dazu führt, Symptome zu lindern. Medikamente kommen in diesem Fall erst dann zum Einsatz, wenn die Psychotherapie sowie Unterstützung durch Familie und Angehörige nicht ausreichen.17

Juliana begab sich in Psychotherapie und wurde dazu ermutigt, die engsten Angehörigen stärker in den Alltag einzubinden und um Unterstützung zu bitten, damit sie Zeit für sich einplanen konnte und so das Gefühl, fremdbestimmt zu sein, reduziert wurde.18 Und weil sie daran gearbeitet hat, sich in ihrer Mutterrolle kompetenter zu fühlen, gelang es ihr, die Mutter-Kind-Beziehung wieder zu vertiefen: „Ein Vierteljahr nach der Geburt war ich total verliebt in meinen Max“19, wie sie fröhlich erzählt.

Es sei normal, dass sich die Neo-Mutter erst an die Situation und die neuen Lebensumstände gewöhnen müsse, so Oddo-Sommerfeld.20 Halten Symptome aber deutlich länger als zwei Wochen an, so muss schnellstens professionelle Hilfe hinzugezogen werden, damit weder die Depression chronisch wird noch das Kind darunter leidet. Anlaufstellen sind dabei Allgemeinmediziner*innen, Kinderärzt*innen, klinische Psycholog*innen sowie Psychotherapeut*innen. Auch Beratungsstellen wie Familien- oder Frauenberatung genauso wie Selbsthilfegruppen können unterstützende Hilfestellungen bieten.21

Deutlich gemacht wird, dass depressive Verstimmungen bzw. Depressionen vor und nach der Schwangerschaft keine Ausnahme darstellen, sondern viele Mütter davon betroffen sind, auch wenn in der Öffentlichkeit ein anderes Bild suggeriert wird. Wichtig ist es, Symptome ernst zu nehmen, die auf eine enorme Belastung bzw. Erkrankung hindeuten, und über die Gefühle mit Vertrauten offen zu sprechen. Vor allem sollten sich Betroffene nicht davor scheuen, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen, denn es hat sich gezeigt, dass vor allem psychotherapeutische Maßnahmen eine enorme Unterstützung für (werdende) Eltern darstellen.

Juliana hat ihre soziale Umgebung in ihre Gefühlswelt eingeweiht und so die notwendige Unterstützung erhalten, die sie benötigte. Auch die Psychotherapie hat ihr enorm geholfen; diese konnte sie nach zwei Jahren erfolgreich abschließen. Angst davor, erneut an einer postnatalen Depression zu leiden, sollte sie wieder schwanger werden, hat sie nicht mehr,22 denn „[f]alls es doch dazu kommt, weiß ich, was zu tun ist: mir schnell Hilfe holen“23.

 


1 Vgl. Habich, Irene: Schwangerschaftsdepressionen bleiben oft unerkannt. In: spiegel.de. Veröffentlicht am 27.05.2014.
URL: https://www.spiegel.de/gesundheit/schwangerschaft/schwanger-depression-in-schwangerschaft-und-psychotherapie-a-968280.html [Stand: 23.03.2022].

2 Vgl. familienberatung: Pränatale Depression – woher, was tun, Auswirkungen. In: familienberatung.gv.at.
URL: https://www.familienberatung.gv.at/start/praenatale-depression-auswirkungen/ [Stand: 23.03.2022].

3 Vgl. familienberatung: Pränatale Depression – woher, was tun, Auswirkungen.
URL: https://www.familienberatung.gv.at/start/praenatale-depression-auswirkungen/ [Stand: 23.03.2022] und
vgl. Habich, Irene: Schwangerschaftsdepressionen bleiben oft unerkannt.
URL: https://www.spiegel.de/gesundheit/schwangerschaft/schwanger-depression-in-schwangerschaft-und-psychotherapie-a-968280.html [Stand: 23.03.2022].

4 Vgl. Habich, Irene: Schwangerschaftsdepressionen bleiben oft unerkannt.
URL: https://www.spiegel.de/gesundheit/schwangerschaft/schwanger-depression-in-schwangerschaft-und-psychotherapie-a-968280.html [Stand: 23.03.2022].

5 Habich, Irene: Schwangerschaftsdepressionen bleiben oft unerkannt.
URL: https://www.spiegel.de/gesundheit/schwangerschaft/schwanger-depression-in-schwangerschaft-und-psychotherapie-a-968280.html [Stand: 23.03.2022].

6 Vgl. Habich, Irene: Schwangerschaftsdepressionen bleiben oft unerkannt.
URL: https://www.spiegel.de/gesundheit/schwangerschaft/schwanger-depression-in-schwangerschaft-und-psychotherapie-a-968280.html [Stand: 23.03.2022].

7 Vgl. Öffentliches Gesundheitsportal Österreichs: Babyblues. Aktualisiert am 13.04.2021.
URL: https://www.gesundheit.gv.at/leben/eltern/baby/baby-blues-depression [Stand: 23.03.2022].

8 Vgl. Öffentliches Gesundheitsportal Österreichs: Babyblues. Aktualisiert am 13.04.2021.
URL: https://www.gesundheit.gv.at/leben/eltern/baby/baby-blues-depression [Stand: 23.03.2022].

9 Vgl. Öffentliches Gesundheitsportal Österreichs: Postpartale Depression. Aktualisiert am 29.06.2017.
URL: https://www.gesundheit.gv.at/leben/eltern/baby/baby-blues [Stand: 23.03.2022].

10 Weichs, Barbara: Postpartale Depression: Wenn die Müttergefühle fehlen. In: apotheken-umschau.de. Aktualisiert am 19.09.2018.
URL: https://www.apotheken-umschau.de/familie/schwangerschaft/geburt/postpartale-depression-wenn-die-muettergefuehle-fehlen-791311.html [Stand: 23.03.2022].

11 Vgl. Weichs, Barbara: Postpartale Depression: Wenn die Müttergefühle fehlen.
URL: https://www.apotheken-umschau.de/familie/schwangerschaft/geburt/postpartale-depression-wenn-die-muettergefuehle-fehlen-791311.html [Stand: 23.03.2022].

12 Weichs, Barbara: Postpartale Depression: Wenn die Müttergefühle fehlen.
URL: https://www.apotheken-umschau.de/familie/schwangerschaft/geburt/postpartale-depression-wenn-die-muettergefuehle-fehlen-791311.html [Stand: 23.03.2022].

13 Vgl. Weichs, Barbara: Postpartale Depression: Wenn die Müttergefühle fehlen.
URL: https://www.apotheken-umschau.de/familie/schwangerschaft/geburt/postpartale-depression-wenn-die-muettergefuehle-fehlen-791311.html [Stand: 23.03.2022].

14 Weichs, Barbara: Postpartale Depression: Wenn die Müttergefühle fehlen.
URL: https://www.apotheken-umschau.de/familie/schwangerschaft/geburt/postpartale-depression-wenn-die-muettergefuehle-fehlen-791311.html [Stand: 23.03.2022].

15 (Frühkindliche) Regulationsstörungen fassen Störungen hinsichtlich Nahrungsaufnahme, Wachstum, Schlaf und Schreien zusammen. Kleine Probleme dahin gehend gelten als normal, doch anhaltende Schwierigkeiten können sowohl das Kind als auch die Eltern enorm belasten und sind deswegen ernst zu nehmen.
Vgl. dazu Landauer Psychotherapie-Ambulanz für Kinder & Jugendliche: Frühkindliche Störungen / Regulationsstörungen.
URL: https://www.uni-koblenz-landau.de/de/landau/fb8/biopsy-klinpsy/KlinPsy%20KiJu/Ambulanz%20und%20Ausbildung/Ambulanz-KiJu/behandlungsangebot/Fruehkindlichestoerungen [Stand: 24.03.2022]

16 Vgl. Weichs, Barbara: Postpartale Depression: Wenn die Müttergefühle fehlen.
URL: https://www.apotheken-umschau.de/familie/schwangerschaft/geburt/postpartale-depression-wenn-die-muettergefuehle-fehlen-791311.html [Stand: 23.03.2022].

17 Vgl. Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG): Depression nach der Geburt – was kann helfen? In: gesundheitsinformation.de. Aktualisiert am 20.05.2020.
URL: https://www.gesundheitsinformation.de/depression-nach-der-geburt-was-kann-helfen.html [Stand: 23.03.2022].

18 Vgl. Weichs, Barbara: Postpartale Depression: Wenn die Müttergefühle fehlen.
URL: https://www.apotheken-umschau.de/familie/schwangerschaft/geburt/postpartale-depression-wenn-die-muettergefuehle-fehlen-791311.html [Stand: 23.03.2022].

19 Weichs, Barbara: Postpartale Depression: Wenn die Müttergefühle fehlen.
URL: https://www.apotheken-umschau.de/familie/schwangerschaft/geburt/postpartale-depression-wenn-die-muettergefuehle-fehlen-791311.html [Stand: 23.03.2022].

20 Vgl. Weichs, Barbara: Postpartale Depression: Wenn die Müttergefühle fehlen.
URL: https://www.apotheken-umschau.de/familie/schwangerschaft/geburt/postpartale-depression-wenn-die-muettergefuehle-fehlen-791311.html [Stand: 23.03.2022].

21 Vgl. Öffentliches Gesundheitsportal Österreichs: Babyblues.
URL: https://www.gesundheit.gv.at/leben/eltern/baby/baby-blues-depression [Stand: 23.03.2022].

22 Vgl. Weichs, Barbara: Postpartale Depression: Wenn die Müttergefühle fehlen.
URL: https://www.apotheken-umschau.de/familie/schwangerschaft/geburt/postpartale-depression-wenn-die-muettergefuehle-fehlen-791311.html [Stand: 23.03.2022].

23 Weichs, Barbara: Postpartale Depression: Wenn die Müttergefühle fehlen.
URL: https://www.apotheken-umschau.de/familie/schwangerschaft/geburt/postpartale-depression-wenn-die-muettergefuehle-fehlen-791311.html [Stand: 23.03.2022].

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Veröffentlicht am: 04.05.2022