Entschuldigung angenommen

 

Es lässt sich kaum vermeiden, aufgrund eines kleinen Missverständnisses oder wegen eines großen Fehlers hin und wieder um Verzeihung bitten zu müssen. Aber was passiert vor allem mit unserem seelischen Gleichgewicht, wenn man verzeiht bzw. wenn verziehen wird?

Wenn sich eine Freundin zu einer Verabredung verspätet, fällt es uns meistens leicht, ihr schnell zu verzeihen. Kränkt sie uns jedoch zutiefst oder hintergeht sie uns, dann kostet es uns große Überwindung, ihre (ernst gemeinte) Entschuldigung anzunehmen. In manchen Fällen können wir Fehler nicht so einfach verzeihen, sowohl den Mitmenschen als auch uns selbst gegenüber. Beschäftigen wir uns jedoch für eine viel zu lange Zeit mit einer bestimmten Verfehlung, kann dies massive körperliche und psychische Auswirkungen mit sich bringen.

Schuld und Sühne

Doch was passiert genau, wenn wir jemandem oder uns selbst für einen Fehler verzeihen? Laut der deutschen Diplom-Psychologin Doris Wolf „kehrt innerer Frieden ein und wir können wieder in der Gegenwart leben“1. Halten wir nämlich an unseren Schuldgefühlen oder an jenen von anderen fest, dann bleibt uns die Fokussierung auf das Jetzt sowie auf die Zukunft verwehrt. Gleichzeitig wird verhindert, dass sich die*der Schuldige – wir oder unsere Mitmenschen – von den Schuldgefühlen befreien kann.2 Denn nicht zu vergeben, wie Wolf weiter ausführt, „ist wie eine unerledigte wichtige Aufgabe, die unsere Aufmerksamkeit immer wieder auf sich zieht. […] Unser Körper ist dadurch in einem permanenten Alarmzustand“3.

Eine seit 1989 laufende Studie der Harvard University mit über 54.000 Teilnehmerinnen aus einer Krankenschwestern-Gesundheitsschule zeigt beispielsweise auf, dass sich bei jenen Probandinnen, die anderen Menschen vergeben, das psychosoziale Wohlbefinden steigert und sich zudem die soziale Integration verbessert. Des Weiteren treten bei dieser Gruppe weniger häufig Depressionen sowie Angststörungen auf. Eine weitere Auswertung von 128 Studien mit 58.000 Proband*innen lässt annehmen, dass alle jene, die an Schuldgefühlen aufgrund eines Vergehens leiden und zu lange darauf hoffen, dass ihnen verziehen wird, mit gesundheitlichen Folgen rechnen müssen. Proband*innen, denen hingegen verziehen wurde, leben entspannter und im Allgemeinen gesünder.4

Entschuldigung angenommen

Wer also anderen verzeihen kann, tut offensichtlich sich selbst und anderen etwas Gutes, denn „Schuldgefühle sind bisweilen eine schwere Last, die man nicht einfach so abwerfen kann“5, erklärt Susanne Boshammer, Professorin für praktische Philosophie an der Universität Osnabrück. Geraten wird außerdem dazu, nicht zu schnell zu verzeihen: „Sich selbst zu achten und die eigenen Rechte zu schützen erfordert mitunter Konfliktbereitschaft“, sagt Boshammer weiterführend. Denn wie schnell wir verzeihen, hängt unter anderem von den individuellen Werten und Vorstellungen ab. Für diese gilt es dann, einzustehen und nicht ständig Nachsicht walten zu lassen. „Wer um des lieben Friedens willen umstandslos verzeiht, erweckt schlimmstenfalls den Eindruck, dass man es mit ihm ja machen kann, und riskiert so, den Respekt seiner Mitmenschen auf Dauer zu verlieren“6, führt Boshammer weiter aus.

Doch wie bereits erwähnt – man sollte Groll gegenüber einer um Verzeihung bittenden Person nicht langfristig hegen, da hierbei gesundheitliche Folgeerscheinungen auftreten können: Neben anhaltendem Stress und dem erhöhten Risiko für die Entwicklung von psychischen Erkrankungen wird man nämlich dauerhaft von negativen Gefühlen wie Wut, Verbitterung oder Enttäuschung begleitet, was auch unser Umfeld wahrnimmt. Schlechte Gewohnheiten zum ‚Beruhigen‘ wie beispielsweise erhöhter Alkoholkonsum können sich ebenso manifestieren wie körperliche Beschwerden in Form von allgemeiner Erschöpfung, Herz-Kreislauf-Problemen sowie Magen-Darm-Beschwerden, Schlafstörungen und Muskelverspannungen.7

Zum einen also für die eigenen Wertvorstellungen eintreten, sich nicht vor Konflikten scheuen und nicht zu schnell alles verzeihen, zum anderen keinen dauerhaften, langanhaltenden Groll hegen – es gilt, hierbei eine Balance zu finden, die das eigene Wohlbefinden unterstützt, anstatt dieses zu belasten. Und dies bezieht sich nicht nur darauf, anderen verzeihen zu können, sondern auch sich selbst.

Von Schuldgefühlen geplagt

Weil wir alle Fehler machen, lässt es sich kaum vermeiden, die Gefühle anderer hin und wieder zu verletzen. Geplagt werden wir sodann von Schuldgefühlen,8 „die wir in Form von starken Gefühlen in unserem Körper verspüren, wie wenn wir anderen nicht verzeihen“9, so Wolf. Deswegen ist es zum einen wichtig, aufrichtige Reue zu zeigen und so zum Ausdruck zu bringen, dass man die Verantwortung für falsche Handlungen übernimmt, zum anderen müssen wir unsere Fehlbarkeit akzeptieren, um nicht dauerhaft von Schuldgefühlen geplagt zu werden.10

In kleinen Schritten verzeihen

Gemäß den Ausführungen nimmt das Verzeihen also positiven Einfluss auf das körperliche und psychische Wohlbefinden. Doch können wir wirklich alles verzeihen? Oder es zumindest lernen? Psycholog*innen raten jedenfalls dazu, sich selbst und anderen zu verzeihen, und zwar immer in kleinen Schritten:11

  • Aufrichtig verzeihen
    Beim Verzeihen geht es immer darum, sich zu diesem aktiven Vorgang zu entschließen. Sobald man einer Person verziehen hat, sind Vorwürfe unangebracht – man sollte hingegen wieder zueinander finden.
  • Faktor Zeit
    Solange man also nicht aufrichtig verzeihen kann, sollte man dies auch nicht tun. Damit man jedoch nicht zu lange Groll hegt, da dieser die körperliche und psychische Gesundheit belastet, kann es hilfreich sein, sich für die Wut eine Deadline zu setzen, um sodann einen Neuanfang zu wagen.
  • Akzeptieren, aber nicht gutheißen
    Dass man jemandem verziehen hat, bedeutet nicht automatisch, das Geschehene zu vergessen. Hilfreich kann es hierbei sein, eine andere Perspektive einzunehmen und zu versuchen, nachzuvollziehen, warum die Person so gehandelt hat.
  • Auf die positiven Erlebnisse besinnen
    Die Beziehung an sich sollte nicht auf den Fehler, der verziehen werden muss, reduziert werden. Erinnert man sich insbesondere auf das glückliche Zusammensein bzw. an schöne Erlebnisse, kann es dabei helfen, eher zu verzeihen.
  • Erfahrungen ausklammern
    Manchen fällt es schwerer, zu verzeihen, weil ihnen Ähnliches bereits schon einmal (auch mit anderen Personen) widerfahren ist und sich dadurch negative Gefühle steigern können. Es gilt jedoch, frühere Erlebnisse von aktuellen zu trennen.
  • Verständnis entgegenbringen
    Fehler sind unvermeidlich und manchmal passiert es, dass wir verletzt werden. Wenn man versucht, sich vor Augen zu führen, dass das Gegenüber nicht in böser Absicht gehandelt hat, fällt es womöglich leichter, zu verzeihen.

Doch auch die eigenen Fehler müssen eingestanden, in weiterer Folge akzeptiert werden, um nicht dauerhaft von Schuldgefühlen geplagt zu werden. Vergangenes auf sich beruhen zu lassen, Wiedergutmachung zu leisten und sich darauf zu besinnen, dass uns nicht das Fehlverhalten, sondern die Persönlichkeit definiert, kann beim Verringern bzw. Auflösen von Schuldgefühlen unterstützen.12 Der großzügige Akt des Verzeihens – sich selbst und anderen – ist zwar kein einfacher, aber jedenfalls für beide Seiten befreiend. Und nicht zuletzt hilft dieser dabei, die körperliche und vor allem psychische Gesundheit langfristig aufrechtzuerhalten.

 


1 AOK Gesundheitsmagazin: Die Kunst des Vergebens: Wie wir verzeihen können, obwohl es oft schwerfällt. In: aok.de. Veröffentlicht am 07.05.2021.
URL: https://www.aok.de/pk/magazin/wohlbefinden/achtsamkeit/warum-vergeben-wichtig-ist-und-wie-es-klappt/ [Stand: 14.02.2024].

2 Vgl. Eckert, Till: Wie man lernt, sich selbst zu verzeihen. In: zeit.de. Veröffentlicht am 21.01.2018.
URL: https://www.zeit.de/zett/2018-01/wie-man-lernt-sich-selbst-zu-verzeihen [Stand: 14.02.2024].

3 AOK Gesundheitsmagazin: Die Kunst des Vergebens: Wie wir verzeihen können, obwohl es oft schwerfällt.
URL: https://www.aok.de/pk/magazin/wohlbefinden/achtsamkeit/warum-vergeben-wichtig-ist-und-wie-es-klappt/ [Stand: 14.02.2024].

4 Vgl. krm: Verzeihen ist gut für Körper und Seele. In: mdr.de. Veröffentlicht am 26.12.2020.
URL: https://www.mdr.de/wissen/Verzeihen-ist-gut-fuer-die-gesundheit-100.html [Stand: 14.02.2024].

5 Hauschild, Jana: Sollten wir alles verzeihen? In: psychologie-heute.de. Veröffentlicht am 09.10.2020.
URL: https://www.psychologie-heute.de/leben/artikel-detailansicht/40809-sollten-wir-alles-verzeihen.html [Stand: 14.02.2024].

6 Hauschild, Jana: Sollten wir alles verzeihen? In: psychologie-heute.de. Veröffentlicht am 09.10.2020.
URL: https://www.psychologie-heute.de/leben/artikel-detailansicht/40809-sollten-wir-alles-verzeihen.html [Stand: 14.02.2024].

7 Vgl. AOK Gesundheitsmagazin: Die Kunst des Vergebens: Wie wir verzeihen können, obwohl es oft schwerfällt.
URL: https://www.aok.de/pk/magazin/wohlbefinden/achtsamkeit/warum-vergeben-wichtig-ist-und-wie-es-klappt/ [Stand: 14.02.2024].

8 pro mente Austria: Schuldgefühle. In: erstehilfefuerdieseele.at.
URL: https://www.erstehilfefuerdieseele.at/blog/schuldgefuhle/ [Stand: 02.06.2022].

9 AOK Gesundheitsmagazin: Die Kunst des Vergebens: Wie wir verzeihen können, obwohl es oft schwerfällt.
URL: https://www.aok.de/pk/magazin/wohlbefinden/achtsamkeit/warum-vergeben-wichtig-ist-und-wie-es-klappt/ [Stand: 14.02.2024].

10 Vgl. Eckert, Till: Wie man lernt, sich selbst zu verzeihen.
URL: https://www.zeit.de/zett/2018-01/wie-man-lernt-sich-selbst-zu-verzeihen [Stand: 14.02.2024].

11 Vgl. krm: Verzeihen ist gut für Körper und Seele.
URL: https://www.mdr.de/wissen/Verzeihen-ist-gut-fuer-die-gesundheit-100.html [Stand: 14.02.2024].

12 Vgl. Eckert, Till: Wie man lernt, sich selbst zu verzeihen.
URL: https://www.zeit.de/zett/2018-01/wie-man-lernt-sich-selbst-zu-verzeihen [Stand: 14.02.2024].

Bildhinweis: Adobe Stock

Veröffentlicht am: 04.04.2024