Ein Unwetter braut sich im Kopf zusammen – Epilepsie

 

Mit der Diagnose Epilepsie kann im Regelfall ein erfülltes und selbstständiges Leben geführt werden … wenn da nicht zahlreiche Vorurteile und psychische Begleiterkrankungen wären.

Noch heute halten sich hartnäckige und vor allem falsche Vorurteile, wenn von Epilepsie die Rede ist: Man sei von Dämonen oder vom Teufel besessen, bewege sich immer an der Schwelle zwischen Genie und Wahnsinn, man sei verrückt, bösartig, gefährlich und kriminell.1 Und nicht zuletzt – „Epilepsie wird oft mit einer geistigen Behinderung, mit einer Beeinträchtigung der Intelligenz verbunden“2, wie die betroffene Sarah Bischof selbst weiß. Aufgrund dieser bestehenden Mythen und wegen des mangelnden Wissens über das Krankheitsbild sehen sich Epileptiker*innen nach wie vor mit Voreingenommenheit ihnen gegenüber konfrontiert, die zur Stigmatisierung und in weiterer Folge sozialen Ausgrenzung führt.3

Ein Gewitter im Gehirn

Doch was genau ist Epilepsie wirklich? „Wir alle brauchen die Erregung des Hirngewebes, sonst würden wir nicht funktionieren“4, wie der deutsche Neurologe und Epileptologe Bernhard Steinhoff erklärt. „Der Unterschied ist, dass es beim epileptischen Anfall entweder im gesamten Hirngewebe […] oder in einer umschriebenen Region zu einer unkontrollierten Erregungsausbreitung kommt. Diese führt dann letztlich zum Symptom des Anfalls“5, so seine weitere Erläuterung. Bei Epilepsie kommt es demnach im gesamten Gehirn oder in bestimmten Bereichen des Gehirns zu einer übermäßig starken Aktivität, bei welcher zahlreiche Nervenzellen gleichzeitig zu viele Signale abgeben.6

Bildlich gesprochen sei ein epileptischer Anfall mit einem „Gewitter im Gehirn“7 vergleichbar, so Bischof. „Die meiste Zeit ist das „Wetter“ ganz normal, doch dann braut sich ein Gewitter zusammen, das ausbricht. Es blitzt und donnert, dann ist man kurzzeitig lahmgelegt. Doch wenn das Gewitter vorbei ist, kommt die Sonne wieder zum Vorschein“8.

Und unter diesem ‚Gewitter im Gehirn‘ leiden nach einer Schätzung ca. 80.000 Österreicher*innen (ca. 1 % der Bevölkerung) mit 3.000 Neuerkrankungen jährlich, wobei 4 bis 5 % der Gesamtbevölkerung im Laufe des Lebens zumindest einmal einen epileptischen Anfall erleben. Und damit zählt Epilepsie auch zu den häufigsten schweren neurologischen Erkrankungen.9

Verschiedene Symptomatik

Unterschieden werden zwei Typen von epileptischen Anfällen: Von einem generalisierten Anfall spricht man dann, wenn eine übermäßig große Aktivität im gesamten Gehirn auftritt, wodurch einzelne Muskelgruppen oder Gliedmaßen bis hin zum ganzen Körper krampfen und zucken; damit geht auch häufig Bewusstlosigkeit einher. Bei einem fokalen Anfall senden die Nervenzellen in bestimmten Teilen des Gehirns zu viele Signale und je nach betroffener Hirnregion können einzelne Körperbereiche genauso wie die Wahrnehmung beeinträchtigt sein; neben Halluzinationen, Angstzuständen oder verschiedener und plötzlich auftretender Sinneswahrnehmungen können aber genauso Zuckungen oder Krämpfe auftreten. Manchmal sind ebenso die Aufmerksamkeit oder das Bewusstsein eingeschränkt.10

Ein epileptischer Anfall dauert in der Regel nicht sehr lange an. Erstrecken sich die Symptome jedoch auf über 5 Minuten, so handelt es sich um einen Notfall, der lebensgefährlich sein kann. Darauf muss mit einer sofortigen Medikamenteneinnahme reagiert werden.11 Im Generellen ist darauf zu verweisen, dass ein epileptischer Anfall die kognitiven Fähigkeiten nicht beeinträchtigt.12

Nach einem Anfall benötigen Betroffene unterschiedlich lange für die Regeneration. Bischoff fühlt sich beispielsweise am Tag des Anfalls „wirklich wie ausgeschaltet“13 mit „einem starken Muskelkater durch die Krämpfe und […] Erschöpfung an den Tagen danach“14, wie sie schildert. „[D]och am nächsten Tag und nach viel Schlaf geht es mir deutlich besser. Spätestens zwei Tage nach einem Anfall kann ich wieder arbeiten gehen“15. „Insofern ist Epilepsie ein Schicksal, aber eines, mit dem man in der Regel ganz gut zurechtkommen kann“16, so Steinhoff.

Ursachen und Prognosen

Welche Faktoren genau für den Ausbruch der Erkrankung ursächlich sind, kann oftmals nicht eindeutig geklärt werden. Ausgegangen wird aber davon, dass bestimmte Reize wie Flackerlicht, zu wenig Schlaf, der übermäßige Konsum von Alkohol, Vergiftungen sowie ein Mangel an Sauerstoff einen Anfall auslösen können. Auch angeborene Fehlbildungen sowie eine Infektion des Gehirns, ein Hirntumor, Hirnverletzungen oder ein komplizierter Fieberkrampf können zur Entstehung der Erkrankung beitragen.17 In den meisten Fällen erleiden Menschen nur einmal im Leben oder zumindest über wenige Monate bzw. Jahre hinweg einen Anfall. Bei manchen kann die Erkrankung jedoch nie geheilt werden.18 Mit der Einnahme von Medikamenten, sogenannten Antiepileptika,19 ist die Erkrankung neben operativen Eingriffen gut behandelbar, denn sie reduzieren die Wahrscheinlichkeit weiterer Anfälle, aber „[a]nsonsten kann man leider nicht wirklich viel machen“20, wie Steinhoff anmerkt. Deswegen rät er seinen Patient*innen immer, „sie sollen gesund leben, sie sollen Sport machen, sich dem Leben stellen und sich auf keinen Fall in den Sessel zurückziehen und sich ausmalen, was alles passieren könnte“21. Die Teilhabe am sozialen Geschehen ist nämlich von besonderer Wichtigkeit, denn neben der Erkrankung kämpfen Betroffene häufig auch mit psychischen Begleiterkrankungen.

Eine Krankheit mit Folgen für die Psyche

Wegen der Angst vor weiteren, zeitlich nicht absehbaren Anfällen, der Belastung durch zahlreiche medizinische Behandlungen und aufgrund von Ausgrenzung ziehen sich Betroffene häufig sozial zurück und hadern mit ihrem Schicksal. Ausgegangen wird davon, dass jede*r vierte Epilepsie-Patient*in zumindest zeitweise an depressiven Verstimmung oder an chronischen Depressionen leidet. Vor allem die Angst vor dem nächsten epileptischen Anfall begünstigt die Entwicklung von Angsterkrankungen sowie das Auftreten von Panikattacken. Zudem sehen sich Betroffene häufig mit Einschränkungen im Privatleben wie beispielsweise der komplette Verzicht auf das Fahren eines Autos konfrontiert. Und auch in beruflicher Hinsicht müssen viele Betroffene aufgrund von noch immer falschen Vorurteilen Skepsis und Ablehnung ihnen gegenüber hinnehmen, was insgesamt zu einer Verminderung des Selbstwertgefühls führt und damit psychische Erkrankungen begünstigt.22

Einen adäquaten Umgang mit der Erkrankung erlernen

Aufgrund der primären Erkrankungen mit einer erhöhten Gefahr für psychische Begleiterkrankungen ist es von besonderer Wichtigkeit, dass neben der/dem Patient*in auch Angehörige und Bekannte Informationen zu Epilepsie einholen. So kann man der betroffenen Person das nötige Verständnis entgegenbringen, damit diese einen möglichst erfüllenden Alltag schaffen und sozial integriert bleiben kann. Bischoff selbst erzählt, dass zwar Freundschaften und „auch Beziehungen an der Krankheit zerbrochen“23 wären, aber vor allem die Familie und Freund*innen hätten es ihr durch deren Akzeptanz und Unterstützung ermöglicht, die Krankheit als solche anzunehmen.24

Viele Patient*innen berichten außerdem davon, dass speziell Selbsthilfegruppen dabei geholfen hätten, sich nicht alleine zu fühlen. Der Austausch mit anderen Betroffenen unterstütze dabei, die Krankheit zu tolerieren. Um mögliche psychische Begleiterkrankungen abzuwenden, kann zusätzlich Psychotherapie hilfreich sein: Erlernt wird nicht nur eine Verbesserung der Lebensqualität, sondern auch ein adäquater Umgang mit der Erkrankung selbst.25

Von großer Wichtigkeit ist es jedenfalls, sich auch als Angehörige*r über die Erkrankung zu informieren, um Epilepsie-Patient*innen bestmöglich in allen Lebenslagen – beruflich wie privat – zu unterstützen und ihnen das notwendige Verständnis für die Erkrankung entgegenzubringen. Dazu müssen vor allem immer noch bestehende Stigmata und falsche Vorurteile abgebaut werden. In dieser Hinsicht gilt es also, sich Wissen über die Erkrankung einzuholen, womit der Epilepsie dieselbe Aufmerksamkeit zuteilwird wie anderen bekannten und vorurteilsfreien neurologischen Erkrankungen.

 


1 Vgl. ddp / bdq / Vogelmann, Katharina: Die Vorurteile sind geblieben. In: wissenschaft.de. Veröffentlicht am 18.11.2003.
URL: https://www.wissenschaft.de/geschichte-archaeologie/epilepsie-die-vorurteile-sind-geblieben/ [Stand: 09.11.2022].

2 Saurugger, Sonja: Epilepsie ist immer noch ein Tabu. In: kleinezeitung.at. Veröffentlicht am 26.09.2017.
URL: https://www.kleinezeitung.at/lebensart/gesundheit/5291493/Interview_Epilepsie-ist-noch-immer-ein-Tabu [Stand: 09.11.2022].

3 Vgl. Simhofer, Doris: Epilepsie (Fallsucht). In: meinmed.at. Zuletzt aktualisiert am 13.08.2018.
URL: https://www.meinmed.at/krankheit/epilepsie/1920 [Stand: 09.11.2022].

4 Poken, Tina: Epilepsie-Experte Bernhard Steinhoff: „Badewannen fürchten wir wie der Teufel das Weihwasser“. In: stern.de. Veröffentlicht am 04.10.2020.
URL: https://www.stern.de/gesundheit/epilepsie-experte-bernhard-steinhoff—epilepsie-ist-wie-ein-stoerfeuer–9421476.html [Stand: 09.11.2022].

5 Poken, Tina: Epilepsie-Experte Bernhard Steinhoff: „Badewannen fürchten wir wie der Teufel das Weihwasser“.
URL: https://www.stern.de/gesundheit/epilepsie-experte-bernhard-steinhoff—epilepsie-ist-wie-ein-stoerfeuer–9421476.html [Stand: 09.11.2022].

6 Vgl. Öffentliches Gesundheitsportal Österreichs: Epilepsie: Was ist das? In: gesundheit.gv.at. Letzte Aktualisierung am 30.06.2021.
URL: https://www.gesundheit.gv.at/krankheiten/gehirn-nerven/epilepsie/was-ist-das.html [Stand: 09.11.2022] und
vgl. Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG): Epilepsie. In: gesundheitsinformation.de. Aktualisiert am 20.11.2019.
URL: https://www.gesundheitsinformation.de/epilepsie.html [Stand: 09.11.2022].

7 Saurugger, Sonja: Epilepsie ist immer noch ein Tabu.
URL: https://www.kleinezeitung.at/lebensart/gesundheit/5291493/Interview_Epilepsie-ist-noch-immer-ein-Tabu [Stand: 09.11.2022].

8 Saurugger, Sonja: Epilepsie ist immer noch ein Tabu.
URL: https://www.kleinezeitung.at/lebensart/gesundheit/5291493/Interview_Epilepsie-ist-noch-immer-ein-Tabu [Stand: 09.11.2022].

9 Vgl. em: Epilepsie: Experten wenden sich gegen Vorurteile. In: kurier.at. Veröffentlicht am 12.02.2018.
URL: https://kurier.at/wissen/epilepsie-experten-wenden-sich-gegen-vorurteile/310.334.688 [Stand: 09.11.2022].

10 Vgl. Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG): Epilepsie.
URL: https://www.gesundheitsinformation.de/epilepsie.html [Stand: 09.11.2022].

11 Vgl. Öffentliches Gesundheitsportal Österreichs: Epilepsie: Was ist das?
URL: https://www.gesundheit.gv.at/krankheiten/gehirn-nerven/epilepsie/was-ist-das.html [Stand: 09.11.2022].

12 Vgl. Poken, Tina: Epilepsie-Experte Bernhard Steinhoff: „Badewannen fürchten wir wie der Teufel das Weihwasser“.
URL: https://www.stern.de/gesundheit/epilepsie-experte-bernhard-steinhoff—epilepsie-ist-wie-ein-stoerfeuer–9421476.html [Stand: 09.11.2022].

13 Saurugger, Sonja: Epilepsie ist immer noch ein Tabu.
URL: https://www.kleinezeitung.at/lebensart/gesundheit/5291493/Interview_Epilepsie-ist-noch-immer-ein-Tabu [Stand: 09.11.2022].

14 Saurugger, Sonja: Epilepsie ist immer noch ein Tabu.
URL: https://www.kleinezeitung.at/lebensart/gesundheit/5291493/Interview_Epilepsie-ist-noch-immer-ein-Tabu [Stand: 09.11.2022].

15 Saurugger, Sonja: Epilepsie ist immer noch ein Tabu.
URL: https://www.kleinezeitung.at/lebensart/gesundheit/5291493/Interview_Epilepsie-ist-noch-immer-ein-Tabu [Stand: 09.11.2022].

16 Poken, Tina: Epilepsie-Experte Bernhard Steinhoff: „Badewannen fürchten wir wie der Teufel das Weihwasser“.
URL: https://www.stern.de/gesundheit/epilepsie-experte-bernhard-steinhoff—epilepsie-ist-wie-ein-stoerfeuer–9421476.html [Stand: 09.11.2022].

17 Vgl. Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG): Epilepsie.
URL: https://www.gesundheitsinformation.de/epilepsie.html [Stand: 09.11.2022] und
vgl. Öffentliches Gesundheitsportal Österreichs: Epilepsie: Was ist das?
URL: https://www.gesundheit.gv.at/krankheiten/gehirn-nerven/epilepsie/was-ist-das.html [Stand: 09.11.2022]

18 Vgl. Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG): Epilepsie.
URL: https://www.gesundheitsinformation.de/epilepsie.html [Stand: 09.11.2022].

19 Vgl. Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG): Epilepsie.
URL: https://www.gesundheitsinformation.de/epilepsie.html [Stand: 09.11.2022].

20 Poken, Tina: Epilepsie-Experte Bernhard Steinhoff: „Badewannen fürchten wir wie der Teufel das Weihwasser“.
URL: https://www.stern.de/gesundheit/epilepsie-experte-bernhard-steinhoff—epilepsie-ist-wie-ein-stoerfeuer–9421476.html [Stand: 09.11.2022].

21 Poken, Tina: Epilepsie-Experte Bernhard Steinhoff: „Badewannen fürchten wir wie der Teufel das Weihwasser“.
URL: https://www.stern.de/gesundheit/epilepsie-experte-bernhard-steinhoff—epilepsie-ist-wie-ein-stoerfeuer–9421476.html [Stand: 09.11.2022].

22 Vgl. UCB Pharma: Epilepsie und Depressionen. In: epilepsie-gut-behandeln.de.
URL: https://www.epilepsie-gut-behandeln.de/leben-mit-epilepsie/depressionen/ [Stand: 09.11.2022].

23 Saurugger, Sonja: Epilepsie ist immer noch ein Tabu.
URL: https://www.kleinezeitung.at/lebensart/gesundheit/5291493/Interview_Epilepsie-ist-noch-immer-ein-Tabu [Stand: 09.11.2022].

24 Vgl. Saurugger, Sonja: Epilepsie ist immer noch ein Tabu.
URL: https://www.kleinezeitung.at/lebensart/gesundheit/5291493/Interview_Epilepsie-ist-noch-immer-ein-Tabu [Stand: 09.11.2022].

25 Vgl. UCB Pharma: Epilepsie und Depressionen. In: epilepsie-gut-behandeln.de.
URL: https://www.epilepsie-gut-behandeln.de/leben-mit-epilepsie/depressionen/ [Stand: 09.11.2022] und
vgl. Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG): Epilepsie.
URL: https://www.gesundheitsinformation.de/epilepsie.html [Stand: 09.11.2022].

Bildhinweis: Adobe Stock

Veröffentlicht am: 30.11.2022