Der Hauptgewinn als gefährliche Verlockung

 

Der Übergang vom gelegentlichen Glücksspiel hin zur Abhängigkeit gestaltet ist häufig schleichend und wird erst sehr spät bemerkt – sowohl von Angehörigen als auch von der betroffenen Person selbst.

Was macht den Reiz des Glücksspiels aus? Ist es die Aussicht auf mögliche hohe Gewinne, wenn man gerade eine ‚Glückssträhne‘ am Roulette-Tisch hat? Hat es etwas mit der besonderen Casino-Atmosphäre zu tun, bei welcher auch immer das Motto ‚Alles ist möglich‘ mitschwingt? Oder üben die bunten Automaten-Lichter und fröhlichen Töne eine so große Anziehungskraft auf uns aus? Welcher Grund auch immer zutreffen mag – das Glücksspiel im Casino, im Wettbüro oder über das Internet erfreut sich großer Beliebtheit, wie eine umfassende mehrjährige Studie bestätigt: Zwischen Juli 2009 und Februar 2011 haben 42 % der Österreicher*innen zwischen dem 14. und 65. Lebensjahr an einem Glücksspiel teilgenommen.1 Und ein Gelegenheitsspiel kann durchaus für einen gewissen Nervenkitzel sorgen und Aufregung hervorrufen – also ein kurzfristiges Abenteuer bedeuten. Doch wie erkennt man, dass es sich nicht mehr einfach nur um ein Erlebnis, sondern um einen gefährlichen Zwang handelt, spielen zu müssen?

Das Unkontrollierbare kontrollieren

Ein pathologisches, krankhaftes Spielverhalten – die Spielsucht – liegt dann vor, wenn dem Glücksspiel nicht mehr widerstanden werden kann und unkontrolliert im Casino, an Automaten oder im Online-Bereich gespielt wird. Betroffene werden also vom Zwang beherrscht, spielen zu müssen.2 Ausgegangen wird davon, dass alleine in Österreich ca. 60.000 Menschen an der Spielsucht leiden.3 Doch wie kommt es zu dieser Abhängigkeit? „Zu Beginn der Spielsucht steht fast immer ein hoher Gewinn, und der Spieler denkt, Kontrolle über das Spiel zu haben und durch eigene Fähigkeiten zu gewinnen“4, wie Verena Verhoeven, Leiterin der Fachstelle Glücksspielsucht beim Caritas Verband Rhein-Kreis-Neuss, erläutert. Im Vordergrund stehe also das Erleben sowie die vermeintliche Kontrolle,5 erklärt der deutsche Sucht- und Sozialtherapeut Ulf Weidig von der Fachstelle für Glücksspielsucht vom medizinischen Versorgungszentrum Alexianer Krefeld: „Sie wollen das Glücksgefühl und die Kontrollillusion beim Gewinnen erleben. Suchen die Dopamin-Ausschüttung, die das mit sich bringt“6, so seine Ausführung.

Vom Gelegenheitsspiel hin zur Sucht

Dieser Nervenkitzel beim Glücksspiel kann die Entstehung einer Sucht begünstigen. Konkret wird die Glücksspielsucht in drei Stadien unterteilt:7

  • Anfangsstadium – Der Einstieg in die Sucht
    Die ersten Glücksspielerfahrungen gekoppelt an mögliche hohe Gewinne lösen positive Empfindungen aus – man interpretiert den Gewinn als persönlichen Erfolg, wodurch man zunehmend zu mehr Risiko in Bezug auf den finanziellen Einsatz bereit ist.
  • Gewöhnungsstadium – Wiederholendes Spielverlangen
    Zum Problem wird das Spielen dann, wenn man den regelmäßigen Wunsch danach verspürt. Durch eine Toleranzentwicklung steigt nämlich der Spiel-Intervall, um die positiven Emotionen aufrechtzuerhalten. Die Folge – erste finanzielle Verluste werden spürbar und die Scham über das verlorene Geld führt zum Verheimlichen der Tätigkeiten. Somit entstehen in diesem Stadium auch die ersten Konflikte, obwohl die*der Problemspieler*in noch nicht dazu in der Lage ist, das ausgeprägte Suchtverhalten zu erkennen.
  • Suchtstadium – Von Verzweiflung getrieben
    Nun wird nicht mehr gespielt, um Glücksgefühle hervorzurufen, sondern weil der Zwang nach dem Spielen beherrschend ist. In diesem Stadium haben Betroffene bereits zwischenmenschliche Beziehungen stark vernachlässigt, ebenso den Beruf. Häufig werden nun die ganzen finanziellen Mittel verspielt, was zu Selbstverachtung und zu Schuldgefühlen führt.

Gerade das Glücksspiel weist ein hohes Suchtpotenzial auf, nämlich zum einen aufgrund der ständigen Verfügbarkeit: „Wer will, kann ja 24 Stunden am Tag und überall zocken, sei es in der Kneipe, am Flughafen oder zu Hause auf dem Sofa“8, wie der deutsche Glücksspielforscher Tobias Hayer erklärt. Zum anderen ist das Glücksspiel aufgrund der Schnelligkeit so verführerisch: „Wer online eine Wette platziert, muss nur ein paar Sekunden warten, bis er weiß, ob er gewonnen oder verloren hat“9, führt Hayer weiter aus.

Daneben erhöhen auch gewisse soziale Umstände wie stressige Situationen oder allgemeine seelische Belastungen die Anfälligkeit, nach dem Glücksspiel süchtig zu werden. Zudem gehören Personen mit fehlender oder mangelhafter Impulskontrolle, mit geringem Selbstwert sowie mit erhöhter Risikobereitschaft zur Risikogruppe der Sucht.10 Genau diese Faktoren zeigten sich auch verantwortlich dafür, dass der von Glücksspielsucht betroffene Robert eine Abhängigkeit entwickelte: Als Ablenkung von einer zerbrochenen Beziehung, mit welcher sich auch der Freundeskreis aufgelöst hat, suchte er immer häufiger Gaststätten mit Spielautomaten auf, denn dort habe er sich „beschäftigt gefühlt“11, wie er erläutert. „Ich wurde fast sofort süchtig danach“12, so sein Eingeständnis. Als die Sucht bereits stark ausgeprägt war, habe er „erst aufgehört, wenn das Geld aus war oder der Laden zugemacht hat“13.

Handlungsbedarf bei einer lebensgefährlichen Sucht

In Bezug auf die Behandlung der Sucht ist es besonders wichtig, sich selbst die Problematik einzugestehen. Meistens sind Betroffene jedoch bereits in starken finanziellen Schwierigkeiten oder haben den Alltag schon massiv vernachlässigt, ehe sie ihr Suchtverhalten erkennen.14 Sodann müssen schnell Handlungen gesetzt werden, denn die Spielsucht gilt als jene Suchterkrankung mit der höchsten Suizidrate – 20 % haben Suizidgedanken, etwa 5 % unternehmen den tatsächlichen Versuch. Zudem leiden sie häufig an anderen psychischen Krankheiten wie Depressionen, an einer bipolaren Störung oder an Angsterkrankungen und weisen außerdem weitere Abhängigkeiten wie Alkoholismus auf. In einer ambulanten oder stationären Therapie gilt es damit, sämtliche Krankheitsbilder zu behandeln, um die Glücksspielsucht erfolgreich zu bekämpfen. Unterstützend dazu dienen auch Gruppengespräche sowie der Austausch mit anderen Betroffenen einer noch intensiveren Reflexion des eigenen Suchtverhaltens sowie der Motivation, nicht rückfällig zu werden.15

Nicht nur die*der Spielsüchtige ist betroffen

Aber nicht nur Betroffene sind auf professionelle Hilfe angewiesen, um die Sucht zu bekämpfen, sondern häufig auch Angehörige, denn durch die großen finanziellen Verluste, die das Glücksspiel mit sich bringt, sehen auch sie sich mit der finanziellen Problematik bzw. mit hohen Schulden konfrontiert. Empfohlen wird hier das Aufsuchen einer Schuldnerberatung, um den wachsenden finanziellen Druck zu bewältigen. Im Generellen raten Professionist*innen dazu, der*dem Süchtigen niemals Geld zu leihen, auch wenn sie*er dieses scheinbar für alltägliche Zwecke oder für das Zurückzahlen von Schulden verwenden möchte.16 Robert spricht dabei aus Erfahrung: „Nahestehende Personen sollten Spielsüchtigen klar die Konsequenzen aufzeigen […]. Konkret bedeutet das etwa: Zugang zu gemeinsamen Geldern sperren, mit dem Auszug drohen – und das im Zweifel auch in die Tat umsetzen“17, denn er selbst weiß – „[w]enn Androhungen folgenlos bleiben, macht ein Glücksspielsüchtiger einfach weiter. Es gibt dann ja für ihn keinen echten Grund, aufzuhören“18.

Im Generellen ist anzumerken, dass eine vollständige Heilung der Abhängigkeit nicht möglich ist, denn die Spielsucht gilt als eine chronische Sucht, die stark auf Reize wie das Klimpern von Münzen oder das Vorbeifahren an einer Spielhalle reagiert und sofort wieder den Drang auslöst, spielen zu wollen. Aufgrund der bereits erwähnten Risikofaktoren wie der ständigen Verfügbarkeit und der Schnelligkeit gilt sie als eine der Süchte mit hoher Rückfallquote.19

Auch Robert hat mehrere Rückfälle trotz intensiver Therapie erlitten, ist nun aber seit mehreren Jahren spielfrei, und ebenso seien „[a]lle Schulden […] bezahlt, es fehlt an nichts“20. Diesen Umstand macht er sich für eine neue Perspektivenplanung zunutze, indem er sich auch in beruflicher Hinsicht wieder integrieren bzw. weiterentwickeln möchte und eine Umschulung vornimmt, um im sozialen Bereich zu arbeiten.21

Ziele definieren, vielfältige Therapiemaßnahmen in Anspruch nehmen, soziale Kontakte zu Gleichgesinnten aufbauen, die unterstützen, aber natürlich zuerst die Sucht erkennen und sie behandeln wollen – diese Aspekte sind für Spielsüchtige wesentlich, um so lange wie möglich abstinent zu bleiben. Unterstützend dazu stehen diverse Anlaufstellen und Einrichtungen mit Hilfsmaßnahmen sowohl für Betroffene als auch für Angehörige zur Verfügung:

Fachstelle für Glücksspielsucht Steiermark
https://www.fachstelle-gluecksspielsucht.at/

Drogenberatung des Landes Steiermark – Spielsucht
T: +43 316 32 60 44
Erreichbarkeit von Montag bis Freitag von 10:00 bis 12:00 Uhr sowie von Montag bis Donnerstag zwischen 17:00 und 19:00 Uhr

VIVID – Fachstelle für Suchtprävention (Steiermark)
Telefon: +43 316 82 33 00

b.a.s. – Steirische Gesellschaft für Suchtfragen
Telefon: +43 316 82 11 99
Erreichbarkeit von Montag bis Mittwoch sowie Freitag zwischen 09:00 und 12:00 Uhr, außerdem am Donnerstag von 14:00 bis 16:00 Uhr

SMZ – Sozialmedizinisches Zentrum Liebenau
Telefon: +43 316 46 23 40
Telefonische Terminvereinbarung
Journaldienst immer donnerstags von 17:00 bis 19:00 Uhr

Zentrum für Suchtmedizin LKH Graz II Standort Süd, Substitutionsambulanz
Telefon: +43 316 2191 2222
Erreichbarkeit von Montag bis Freitag zwischen 08:00 und 16:00 Uhr
Erreichbarkeit der Akutambulanz – Telefon: +43 316 2191 2785 (außerhalb der angeführten Zeiten und in Notfällen)

HPE – Hilfe für Angehörige psychisch Erkrankter
https://www.hpe.at/de/

 


1 Vgl. Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz: Erste Österreichische Studie zur Prävention der Glücksspielsucht. In: sozialministerium.at. Aktualisiert am 10.02.2020.
URL: https://www.sozialministerium.at/Themen/Gesundheit/Drogen-und-Sucht/Verhaltenss%C3%BCchte/Spielsucht/Pathologisches-Gl%C3%BCcksspiel/Erste-%C3%96sterreichische-Studie-zur-Pr%C3%A4vention-der-Gl%C3%BCcksspielsucht.html [Stand: 21.03.2023].

2 Vgl. Öffentliches Gesundheitsportal Österreichs: Glücksspielsucht. In: gesundheit.gv.at. Aktualisiert am 06.10.2022.
URL: https://www.gesundheit.gv.at/krankheiten/sucht/gluecksspielsucht.html [Stand: 21.03.2023].

3 Vgl. Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz: Erste Österreichische Studie zur Prävention der Glücksspielsucht.
URL: https://www.sozialministerium.at/Themen/Gesundheit/Drogen-und-Sucht/Verhaltenss%C3%BCchte/Spielsucht/Pathologisches-Gl%C3%BCcksspiel/Erste-%C3%96sterreichische-Studie-zur-Pr%C3%A4vention-der-Gl%C3%BCcksspielsucht.html [Stand: 21.03.2023].

4 Schneider, Dominik: Die Sucht kommt nach dem Gewinn. In: rp-online.de. Veröffentlicht a; 04.12.2018.
URL: https://rp-online.de/nrw/staedte/duesseldorf/interview-gluecksspielsucht_aid-33614135 [Stand: 21.03.2023].

5 Vgl. Nebe, Tom: Wann Glücksspiel zur gefährlichen Sucht wird. In: welt.de. Veröffentlicht am 24.06.2015.
URL: https://www.welt.de/gesundheit/psychologie/article143004440/Wann-Gluecksspiel-zur-gefaehrlichen-Sucht-wird.html [Stand: 21.03.2023].

6 Nebe, Tom: Wann Glücksspiel zur gefährlichen Sucht wird.
URL: https://www.welt.de/gesundheit/psychologie/article143004440/Wann-Gluecksspiel-zur-gefaehrlichen-Sucht-wird.html [Stand: 21.03.2023].

7 Vgl. Öffentliches Gesundheitsportal Österreichs: Glücksspielsucht.
URL: https://www.gesundheit.gv.at/krankheiten/sucht/gluecksspielsucht.html [Stand: 21.03.2023] und
vgl. Küster, Yvonne: Spielsucht. In: focus-arztsuche.de. Aktualisiert am 20.01.2020.
URL: https://focus-arztsuche.de/magazin/krankheiten/psychische-erkrankungen/wie-laesst-sich-spielsucht-feststellen-und-behandeln [Stand: 21.03.2023].

8 Grabitz, Ileana: „Im Zweifel bekommt keiner mit, wenn es jemand übertreibt.“. In: zeit.de. Veröffentlicht am 24.01.2020.
URL: https://www.zeit.de/gesellschaft/2020-01/spielsucht-online-gluecksspiel-internet-tobias-hayer/komplettansicht [Stand: 21.03.2023].

9 Grabitz, Ileana: „Im Zweifel bekommt keiner mit, wenn es jemand übertreibt.“.
URL: https://www.zeit.de/gesellschaft/2020-01/spielsucht-online-gluecksspiel-internet-tobias-hayer/komplettansicht [Stand: 21.03.2023].

10 Vgl. Öffentliches Gesundheitsportal Österreichs: Glücksspielsucht.
URL: https://www.gesundheit.gv.at/krankheiten/sucht/gluecksspielsucht.html [Stand: 21.03.2023].

11 Nebe, Tom: Wann Glücksspiel zur gefährlichen Sucht wird.
URL: https://www.welt.de/gesundheit/psychologie/article143004440/Wann-Gluecksspiel-zur-gefaehrlichen-Sucht-wird.html [Stand: 21.03.2023].

12 Nebe, Tom: Wann Glücksspiel zur gefährlichen Sucht wird.
URL: https://www.welt.de/gesundheit/psychologie/article143004440/Wann-Gluecksspiel-zur-gefaehrlichen-Sucht-wird.html [Stand: 21.03.2023].

13 Nebe, Tom: Wann Glücksspiel zur gefährlichen Sucht wird.
URL: https://www.welt.de/gesundheit/psychologie/article143004440/Wann-Gluecksspiel-zur-gefaehrlichen-Sucht-wird.html [Stand: 21.03.2023].

14 Vgl. Schneider, Dominik: Die Sucht kommt nach dem Gewinn.
URL: https://rp-online.de/nrw/staedte/duesseldorf/interview-gluecksspielsucht_aid-33614135 [Stand: 21.03.2023].

15 Vgl. Küster, Yvonne: Spielsucht.
URL: https://focus-arztsuche.de/magazin/krankheiten/psychische-erkrankungen/wie-laesst-sich-spielsucht-feststellen-und-behandeln [Stand: 21.03.2023] und

vgl. Öffentliches Gesundheitsportal Österreichs: Glücksspielsucht.
URL: https://www.gesundheit.gv.at/krankheiten/sucht/gluecksspielsucht.html [Stand: 21.03.2023]

16 Vgl. Küster, Yvonne: Spielsucht.
URL: https://focus-arztsuche.de/magazin/krankheiten/psychische-erkrankungen/wie-laesst-sich-spielsucht-feststellen-und-behandeln [Stand: 21.03.2023].

17 Nebe, Tom: Wann Glücksspiel zur gefährlichen Sucht wird.
URL: https://www.welt.de/gesundheit/psychologie/article143004440/Wann-Gluecksspiel-zur-gefaehrlichen-Sucht-wird.html [Stand: 21.03.2023].

18 Nebe, Tom: Wann Glücksspiel zur gefährlichen Sucht wird.
URL: https://www.welt.de/gesundheit/psychologie/article143004440/Wann-Gluecksspiel-zur-gefaehrlichen-Sucht-wird.html [Stand: 21.03.2023].

19 Vgl. Küster, Yvonne: Spielsucht.
URL: https://focus-arztsuche.de/magazin/krankheiten/psychische-erkrankungen/wie-laesst-sich-spielsucht-feststellen-und-behandeln [Stand: 21.03.2023].

20 Nebe, Tom: Wann Glücksspiel zur gefährlichen Sucht wird.
URL: https://www.welt.de/gesundheit/psychologie/article143004440/Wann-Gluecksspiel-zur-gefaehrlichen-Sucht-wird.html [Stand: 21.03.2023].

21 Vgl. Nebe, Tom: Wann Glücksspiel zur gefährlichen Sucht wird.
URL: https://www.welt.de/gesundheit/psychologie/article143004440/Wann-Gluecksspiel-zur-gefaehrlichen-Sucht-wird.html [Stand: 21.03.2023].

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Veröffentlicht am: 10.05.2023