Der Einfluss der Sprache auf Stigmatisierungsprozesse

 

Alltägliche und scheinbar harmlose Wort- und Satzkompositionen werden von den Sprecher*innen nicht immer hinsichtlich vielfacher Bedeutungsmöglichkeiten überprüft. Dabei lohnt es sich, bewusst darauf zu achten, was man mit dem Gesagten zum Ausdruck bringt – hinter gängigen Floskeln könnte nämlich mehr stecken als gedacht.

Für die einen ein sinn- und wirkungsloses Unterfangen, für die anderen von großer Bedeutung – die politische Korrektheit. Doch was genau verbirgt sich wirklich dahinter? Warum ist es von Wichtigkeit, statt des einen Wortes ein anderes zu wählen, darüber nachzudenken, was das von uns Gesagte für andere bedeuten könnte?

Sprache stellt nämlich mehr dar als die bloße Kommunikation zwischen Menschen; sie gibt Einblicke in die ganz persönliche Sichtweise der sprechenden Person und ermöglicht es, deren Weltanschauung in Erfahrung zu bringen. In Bezug auf eine politisch korrekte Sprache bedeutet dies, dass sich die/der Sprecher*in über bestimmte beleidigende bzw. diskriminierende Ausdrucksweisen im Klaren ist und deswegen auch versucht, entsprechend andere Wort- oder Satzkonstruktionen zu wählen.1 Warum sich der Aufwand lohnt, über die vielfältigen Arten einer sprachlichen Diffamierung anderer Menschen nachzudenken? „“Worte“ – also die Sprache – könnten in bestimmten Situationen ein weitaus wirkungsmächtigeres Instrument als physische Gewalt sein“2.

Die Macht der Worte

Denn Sprecher*innen haben mit bestimmten Ausdrucksweisen die Macht, den Gegenüber oder bestimmte Personengruppen bewusst oder unbewusst herabzuwürdigen und in weiterer Folge vom sozial-gesellschaftlichen Leben auszugrenzen. Durch entsprechende Verunglimpfungen, welche gehört, wiederholt und damit weitergetragen werden, können Vorurteile entstehen, die schließlich zur allgemeinen Stigmatisierung führen. Die damit einhergehende Exklusion umfasst dabei in vielen Fällen sinnstiftende Alltagstätigkeiten wie Arbeit und den Kontakt zu anderen Menschen.3

Ebendiese Problematik betrifft nicht nur verschiedenste Ethnien, Religionen oder Menschen mit einer körperlichen oder geistigen Behinderung; auch all jene Personen, welche an einer psychischen Erkrankung leiden, sehen sich immer wieder mit falschen und abwertenden Vorurteilen konfrontiert. So seien sie anders als ‚normal‘, gelten im Berufsleben als inkompetent, seien für die Erkrankung selbst verantwortlich oder werden nach einem Suizidversuch als egoistisch bzw. manipulativ wahrgenommen, seien sogar gefährlich.4

Neben diesen heute immer noch herrschenden falschen Vorurteilen existieren auch in der alltäglichen Umgangssprache sprachliche Konstellationen, die dazu führen könnten, dass sich Betroffene zunehmend sozial isolieren. „Du bist ein Psycho“ oder „total schizophren“, „völlig irre“ oder „einfach wahnsinnig“ – solche und viele weitere Ausdrücke sind im kommunikativen Austausch schon zur Normalität geworden, ohne zu hinterfragen, was damit metaphorisch zum Ausdruck gebracht wird oder wie Betroffene solche Aussagen aufnehmen könnten.5

„Es tut weh, wenn Erkrankungen, an denen man selbst leidet, als Attribute verwendet werden, die etwas Negatives, nicht „Normales“ oder Übertriebenes ausdrücken sollen“6, wie Manuel, der an einer Persönlichkeitsstörung leidet, erläutert. Auch wenn er versucht, nichts Böswilliges oder Denunzierendes zu interpretieren, so „fühlt [es] sich an, als würden sie unterbewusst schlecht von mir denken“7.

Sprache führt zur Ausgrenzung und fördert die (Selbst-)Stigmatisierung

Und dass nicht nur Manuel, sondern viele Menschen, die an einer psychischen Erkrankung leiden, alltäglich Gesagtes als diskriminierend wahrnehmen, hat auch unmittelbare Auswirkungen auf den Verlauf der Krankheit. Als gesichert gilt mittlerweile, dass negative Vorurteile gegenüber Betroffenen sowie sprachliche Stigmatisierungsprozesse starke gesundheitliche Benachteiligungen nach sich ziehen können. Abgesehen davon, dass Betroffene deswegen häufig die Erkrankung verheimlichen und infolgedessen nicht die notwendige Hilfe aufsuchen, welche sie brauchen, um wieder gesund zu werden, führen entsprechend negative Konnotationen zu einer Selbststigmatisierung: Betroffene verinnerlichen die Haltungen ihnen gegenüber, worunter das Selbstbewusstsein leidet und das eigene Selbstwertgefühl massiv sinkt.8

Gemäß den Ausführungen liegt es also an uns allen, gegen die Stigmatisierung von Menschen mit psychischen Krankheiten anzukämpfen, indem bewusster auf eine Sprache frei von Diskriminierung geachtet wird. Wörter wie „Psycho“, „Geisteskranker“ oder „Wahnsinnige“ beinhalten nämlich ebendiese genannten Vorurteile gegenüber Betroffenen und führen unbewusst zu ihrer Herabwürdigung. Auch wenn damit argumentiert wird, dass das Gesagte nicht in diesem Kontext aufzufassen und im Generellen nicht so zu verstehen sei, so sollte darüber nachgedacht werden, wie Betroffene dies aufnehmen könnten – häufig nämlich negativ mit für sie weitreichenden Folgen.9

Politisch korrekt bedeutet somit Entstigmatisierung

Und deswegen ist es von großer Wichtigkeit, dass eine politisch korrekte Sprache verwendet wird, die frei von beleidigenden Elementen und Demütigung ist. Neben der Vermeidung der eben angeführten Wort- bzw. Satzkonstruktionen könnte dabei schon bereits mit der Benennung betroffener Personen selbst angefangen werden – „Menschen mit psychischer Erkrankung“ statt „psychisch Kranke“. Auch wenn letztere Bezeichnung prägnanter sei, wie die an der Ohio State University tätige Professorin Darcy Haag Granello erklärt, so führe der bewusste Einsatz der sogenannten ‚person-first-language‘ zu einer positiveren Betrachtung im Generellen, weil Betroffene dadurch nicht auf die Krankheit reduziert werden, sondern die Person selbst im Vordergrund stehe.10

Mit einem solch sensiblen sprachlichen Umgang kann wesentlich dazu beigetragen werden, die nach wie vor bestehende Stigmatisierung zu reduzieren und des Weiteren die allgemeine Haltung positiv zu verändern. Im Vordergrund steht also die individuelle Überprüfung der eigenen verbalen Ausdrucksformen; dadurch können mögliche beleidigende und diskriminierende Komponenten erkannt, in neutrale Aussagen umgewandelt und schließlich auch weitergegeben werden. Denn Sprache dient – wie eingangs erwähnt – nicht nur dem kommunikativen Austausch – sie bringt das individuelle Weltbild zum Ausdruck trägt wesentlich zur Inklusion im Generellen bei.

 


1 Vgl. Forster, Iris: Political Correctness / Politische Korrektheit. In: bpb.de. Veröffentlicht am 15.10.2010.
URL: https://www.bpb.de/politik/grundfragen/sprache-und-politik/42730/politische-korrektheit [Stand: 06.10.2021].

2 Forster, Iris: Political Correctness / Politische Korrektheit.
URL: https://www.bpb.de/politik/grundfragen/sprache-und-politik/42730/politische-korrektheit [Stand: 06.10.2021].

3 Vgl. Stadt Wien – Stelle zur Bekämpfung von Diskriminierung: Wie sollte nicht diskriminierende Sprache sein? In: wien.gv.at.
URL: https://www.wien.gv.at/verwaltung/antidiskriminierung/sprache.html [Stand: 06.10.2021].

4 Vgl. Hauschild, Jana: Sagen Sie mal, Herr Rüsch: Stigmatisieren wir psychisch Erkrankte? In: psychologie-heute.de. Veröffentlicht am 04.06.2021.
URL: https://www.psychologie-heute.de/gesundheit/artikel-detailansicht/41266-sagen-sie-mal-herr-ruesch-stigmatisieren-wir-psychisch-erkrankte.html [Stand: 07.10.2021].

5 Vgl. Meffert, Tina: Diskriminierung und Stigmatisierung – welche Rolle spielt die Sprache dabei? In: mutmachleute.de. Veröffentlicht am 15.07.2018.
URL: https://mutmachleute.de/diskriminierung-und-stigmatisierung-welche-rolle-spielt-die-sprache-dabei/ [Stand: 06.10.2021].

6 Psychosoziale Dienste Wien: Wie oarg ist es eigentlich, dass unsere Sprache immer noch psychische Erkrankungen stigmatisiert? In: darueberredenwir.at. Veröffentlicht am 23.09.2020.
URL: https://darueberredenwir.at/2020/09/23/wie-oarg-ist-es-eigentlich-dass-unsere-sprache-immer-noch-psychische-erkrankungen-stigmatisiert/ [Stand: 06.10.2021].

7 Psychosoziale Dienste Wien: Wie oarg ist es eigentlich, dass unsere Sprache immer noch psychische Erkrankungen stigmatisiert?
URL: https://darueberredenwir.at/2020/09/23/wie-oarg-ist-es-eigentlich-dass-unsere-sprache-immer-noch-psychische-erkrankungen-stigmatisiert/ [Stand: 06.10.2021].

8 Vgl. Bethesda: Sprache reduziert Stigma psychisch Kranker. In: ftd.de. Veröffentlicht am 20.07.2021.
URL: https://www.ftd.de/wissen/leben/sprache-reduziert-stigma-psychisch-kranker/ [Stand: 06.10.2021].

9 Vgl. von Aufschnaiter, Monika / Sarrazin, Claudia: Political Correctness. In: br.de. Veröffentlicht: 01.08.2019.
URL: https://www.br.de/extra/respekt/political-correctness-diskriminierung-rassismus-100.html [Stand: 06.10.2021].

10 Vgl. Mocker, Daniela: Wie sollte man über Menschen mit psychischen Störungen sprechen? In: spektrum.de. Veröffentlicht am 27.01.2016.
URL: https://www.spektrum.de/news/wie-sollte-man-ueber-menschen-mit-psychischen-stoerungen-sprechen/1396841 [Stand: 06.10.2021].

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Veröffentlicht am: 10.11.2021