Das WWW mit Suchtfaktor

 

Das Internet ist ein nicht mehr wegzudenkender Teil des Lebens und erleichtert unseren Alltag ungemein. Unterschätzt wird aber nach wie vor sein süchtig machendes Potenzial.

Was tun an einem verregneten Nachmittag, an welchem die Freund*innen keine Zeit für ein Treffen haben und man selbst weder fernsehen noch lesen möchte? Dann doch als Zeitvertreib zum Handy greifen und die Social-Media-Kanäle durchforsten oder ein neues Online-Spiel am Computer oder Tablet ausprobieren. Und ehe man sichs versieht, sind mehrere Stunden vergangen, welche man in der virtuellen Welt verbracht hat.

Die exzessive Nutzung des Internets an so manchen Tagen – ob nun in Form von kommunikationsbasierten Plattformen oder Online-Gaming – stellt an sich noch keine Gefährdung der psychischen Gesundheit dar. Hält man sich jedoch über mehrere Wochen und Monate hinweg überwiegend im WWW auf, kann der Übergang zu einem Suchtverhalten fließend verlaufen und zu einer Abhängigkeit – der Internetabhängigkeit – führen.1

Suchtpotenzial ‚virtuelle Welt‘

Unbestritten ist, dass das mediale Zeitalter vielerlei Vorteile mit sich bringt und auch wesentliche Grundbedürfnisse wie das Spielen, Einkaufen oder den kommunikativen Austausch befriedigt. Ebendiese Bedürfnisbefriedigung erzeugt gleichzeitig positive Gefühle, da vermehrt Dopamin ausgeschüttet wird. Wegen dieser glücklich machenden Empfindungen entsteht der Drang, entsprechende Aktionen – in diesem Fall Spielen oder Social-Media-Aktivitäten – immer wieder und gehäuft auszuführen.2 Gibt man diesem Drang nach, so verlagert sich das reale Leben zunehmend in die virtuelle Welt.

Diese physischen und psychischen Vorgänge sind mit jenen bei stoffgebundenen Abhängigkeiten vergleichbar, beziehen sich allerdings auf immaterielle Elemente, weswegen die Internetabhängigkeit den Verhaltenssüchten zugeordnet wird.3 Und diese Sucht kann dabei Menschen in jeder Altersgruppe betreffen,4 tritt jedoch am häufigsten bei Kindern und Jugendlichen auf – in Deutschland alleine bei etwa 100.000 Personen zwischen 12 und 17 Jahren.5 Doch wie kommt es überhaupt konkret zu solch einer Abhängigkeit?

Der Wunsch nach Anerkennung, Erfolg und Glück

„Bei vielen Betroffenen gibt es eine Geschichte hinter der Geschichte“6, wie Martin Fuchs von der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie der Med-Uni Innsbruck dazu erklärt. Grundlegende Probleme, Mobbing, Identitätsschwierigkeiten, Trauer oder Einsamkeit führen demnach zu einer Art Flucht in die digitale Welt.7 Und die Gefahr bei Online-Aktivitäten ist jene, dass sie, wie bereits erwähnt, die grundlegenden Bedürfnisse stillt, vor allem das Verlangen nach zwischenmenschlicher Interaktion: „[W]enn es etwas gibt, wovon wir nie genug bekommen können, ist es soziale Anerkennung“8, so der in den USA tätige Professor für Psychologie und Marketing Adam Alter. Hierbei spielen vor allem die Sozialen Medien eine wesentliche Rolle, denn der Wunsch nach Selbstbestätigung in Form von ‚Likes‘ forciert ein suchtförderndes Verhalten,9 wie auch die Betroffene Elysa weiß: Infolge von psychischen Belastungen (die Trennung vom Partner, der Abbruch des Studiums und der Jobverlust) hat sie sich aufgrund fehlender Alltagsstrukturen sozial zurückgezogen.10 „Ich bin dann nicht mehr rausgegangen“11, wie sie sagt. Wegen der Orientierungslosigkeit und der herausfordernden Lebensumstände sei sie in die virtuelle Welt geflüchtet und dabei nach der scheinbar ‚urteilsfreien‘ Kommunikation mit Menschen und Likes gierig geworden.12

Anzeichen der Internetsucht rechtzeitig erkennen

Es scheint somit von Wichtigkeit zu sein, Warnsignale für ein mögliches Suchtverhalten rechtzeitig zu erkennen, um entgegenzusteuern. Denn neben einem zunehmenden Kontrollverlust über das Nutzerverhalten (die Zeit, welche online verbracht wird, erhöht sich und führt zu einer Vernachlässigung von anderen Lebensbereichen)13 können weitere Anzeichen auf ein Problem hindeuten:14

  • Fokussierung
    Betroffene denken ununterbrochen an die Nutzung des Internets.
  • Entzugserscheinungen
    Erhöhte Reizbarkeit, Unruhe, Konzentrations- und Schlafstörungen treten auf, wenn man offline ist.
  • Vom Stimmungshoch zum -tief
    Zu Beginn nimmt die Internetnutzung positiven Einfluss auf die Laune. Im Verlauf wird das seelische Wohlbefinden jedoch zunehmend strapaziert – die Sucht wird zur Belastung.
  • Zwischenmenschliche Beziehungen leiden
    Durch die Fokussierung auf die Internetnutzung werden nicht nur soziale Kontakte vernachlässigt, was zu Problemen mit dem Umfeld führt, sondern die Abhängigkeit begünstigt auch Schwierigkeiten in der Arbeit oder der Schule.
  • Physische Abhängigkeit
    Begleitsymptome, die auf eine Suchterkrankung hinweisen können, treten vermehrt auf, beispielsweise Mangelernährung, Schlafentzug, Erschöpfungszustände sowie Probleme mit dem Bewegungsapparat oder mit den Augen.

Die Suchterkrankung erfordert dringenden Handlungsbedarf

Können die eben genannten Verhaltensweisen an sich selbst oder bei Angehörigen beobachtet werden, dann besteht auch dringender Handlungsbedarf. Zunächst sollten Vertrauenspersonen die/den Betroffene*n auf das schädliche Verhalten vorwurfsfrei hinweisen und mögliche Alternativen zur Problemlösung aufzeigen. Wenn das eigene Kind betroffen ist, sollten Eltern strikte Regeln hinsichtlich der Nutzung des Internets kundtun und einhalten sowie selbst mit gutem Beispiel vorangehen.15

Sind diese Maßnahmen nicht zielführend, sollte professionelle Hilfe in Form einer Psychotherapie in Anspruch genommen werden. Ziel ist dabei nicht, eine vollständige Abstinenz zu erarbeiten, sondern eher einen angemessenen Umgang mit der ‚Droge‘, in diesem Fall mit der Internetnutzung, zu erlernen.16 Der am Uniklinikum Mainz tätige Psychologe Kai Müller erklärt dazu, dass wie bei anderen Suchterkrankungen auch bei Internetabhängigkeit Überzeugungsarbeit geleistet werden müsse: In der Therapie werde deswegen erarbeitet, „was aufgrund der Sucht schiefgelaufen ist oder verpasst wurde“17. Besteht Einsicht hinsichtlich des Störungsbildes und der Wille, das Suchtverhalten zu ändern, wird vor allem Wert darauf gelegt, sich wieder jenen Aktivitäten zuzuwenden, die vor der Erkrankung ausgeübt wurden.18 Und Elysa? Sie hat sich aus dem WWW fast gänzlich zurückgezogen, lebt nun anstatt in der Großstadt auf einem Bauernhof am Land und widmet sich wieder dem Leben in der realen Welt.19

Besteht gemäß den Ausführungen (der Verdacht auf) eine Suchterkrankung bei sich selbst oder bei anderen, sollte diese mittels professioneller Hilfe abgeklärt bzw. die Abhängigkeit behandelt werden. Neben der/dem Fachärzt*in für Psychiatrie bzw. Kinder- und Jugendpsychiatrie unterstützen auch Psychotherapeut*innen und klinische Psycholog*innen bei der Bewältigung des Problems.20 Auch entsprechende sozialpsychiatrische Angebote können bei Verdacht auf Internetsucht oder bereits bestehender Abhängigkeit Hilfestellungen bieten:

Drogenberatung des Landes Steiermark
T: +43 316 32 60 44
Erreichbarkeit von Montag bis Freitag von 10:00 bis 12:00 Uhr sowie von Montag bis Donnerstag zwischen 17:00 und 19:00 Uhr zum Ortstarif

VIVID – Fachstelle für Suchtprävention (Steiermark)
Telefon: +43 316 82 33 00

b.a.s. – Steirische Gesellschaft für Suchtfragen
Telefon: +43 316 82 11 99
Erreichbarkeit von Montag bis Mittwoch sowie Freitag zwischen 09:00 und 12:00 Uhr, außerdem am Donnerstag von 14:00 bis 16:00 Uhr

SMZ – Sozial Medizinisches Zentrum Liebenau
Telefon: +43 316 46 23 40
Telefonische Terminvereinbarung
Journaldienst immer donnerstags von 17:00 bis 19:00 Uhr

Zentrum für Suchtmedizin LKH Graz II Standort Süd, Substitutionsambulanz
Telefon: +43 316 2191 2222
Erreichbarkeit von Montag bis Freitag zwischen 08:00 und 16:00 Uhr
Erreichbarkeit der Akutambulanz – Telefon: +43 316 2191 2785 (außerhalb der angeführten Zeiten und in Notfällen)

 


1 Vgl. Bundesministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz: Süchtig nach digitalen Welten. Wien 2019.
URL: https://www.sozialministerium.at/Themen/Gesundheit/Drogen-und-Sucht/Berichte-und-Statistiken.html [Stand: 20.01.2022].

2 Vgl. Bundesministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz: Süchtig nach digitalen Welten.
URL: https://www.sozialministerium.at/Themen/Gesundheit/Drogen-und-Sucht/Berichte-und-Statistiken.html [Stand: 20.01.2022].

3 Vgl. Bundesministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz: Süchtig nach digitalen Welten.
URL: https://www.sozialministerium.at/Themen/Gesundheit/Drogen-und-Sucht/Berichte-und-Statistiken.html [Stand: 20.01.2022].

4 Vgl. Poelchau, Nina: Wir zocken und surfen – und sind süchtig. Über die gefährliche Macht der digitalen Welt. In: stern.de. veröffentlicht am 24.12.2018.
URL: https://www.stern.de/gesundheit/psychologie/internetsucht–was-digitale-medien-attraktiv-und-so-gefaehrlich-macht-8502852.html [Stand: 20.01.2022].

5 Vgl. red: Leben für Likes: 100.000 deutsche Jugendliche sind internetsüchtig. In: derstandard.at. Veröffentlicht am 17.09.2018.
URL: https://www.derstandard.at/story/2000087495903/leben-fuer-likes-100-000-deutsche-jugendliche-sind-internetsuechtig [Stand: 20.01.2022].

6 Pollack, Karin: Sozial, asozial, krank: Exzessive Online-Nutzung kann abhängig machen. In: derstandard.at. Veröffentlicht am 21.06.2018.
URL: https://www.derstandard.at/story/2000081938809/online-sein-sozial-asozial-krank [Stand: 20.01.2022].

7 Vgl. APA: Jugendliche: Krankhafte Internetnutzung erkennen. In: derstandard.at. Veröffentlicht am 18.06.2018.
URL: https://www.derstandard.at/story/2000081779577/jugendliche-krankhafte-internetnutzung-erkennen [Stand: 20.01.2022] und
vgl. Bundesministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz: Süchtig nach digitalen Welten.
URL: https://www.sozialministerium.at/Themen/Gesundheit/Drogen-und-Sucht/Berichte-und-Statistiken.html [Stand: 20.01.2022].

8 Poelchau, Nina: Wir zocken und surfen – und sind süchtig. Über die gefährliche Macht der digitalen Welt.
URL: https://www.stern.de/gesundheit/psychologie/internetsucht–was-digitale-medien-attraktiv-und-so-gefaehrlich-macht-8502852.html [Stand: 20.01.2022].

9 Vgl. red: Leben für Likes: 100.000 deutsche Jugendliche sind internetsüchtig.
URL: https://www.derstandard.at/story/2000087495903/leben-fuer-likes-100-000-deutsche-jugendliche-sind-internetsuechtig [Stand: 20.01.2022].

10 Vgl. Poelchau, Nina: Wir zocken und surfen – und sind süchtig. Über die gefährliche Macht der digitalen Welt.
URL: https://www.stern.de/gesundheit/psychologie/internetsucht–was-digitale-medien-attraktiv-und-so-gefaehrlich-macht-8502852.html [Stand: 20.01.2022].

11 Poelchau, Nina: Wir zocken und surfen – und sind süchtig. Über die gefährliche Macht der digitalen Welt.
URL: https://www.stern.de/gesundheit/psychologie/internetsucht–was-digitale-medien-attraktiv-und-so-gefaehrlich-macht-8502852.html [Stand: 20.01.2022].

12 Vgl. Poelchau, Nina: Wir zocken und surfen – und sind süchtig. Über die gefährliche Macht der digitalen Welt.
URL: https://www.stern.de/gesundheit/psychologie/internetsucht–was-digitale-medien-attraktiv-und-so-gefaehrlich-macht-8502852.html [Stand: 20.01.2022].

13 Vgl. Bundesministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz: Süchtig nach digitalen Welten.
URL: https://www.sozialministerium.at/Themen/Gesundheit/Drogen-und-Sucht/Berichte-und-Statistiken.html [Stand: 20.01.2022].

14 Vgl. Öffentliches Gesundheitsportal Österreichs: Internetsucht. Aktualisiert am 07.01.2019.
URL: https://www.gesundheit.gv.at/krankheiten/sucht/internetsucht [Stand: 20.01.2022] und
vgl. Bundesministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz: Süchtig nach digitalen Welten.
URL: https://www.sozialministerium.at/Themen/Gesundheit/Drogen-und-Sucht/Berichte-und-Statistiken.html [Stand: 20.01.2022].

15 Vgl. Bundesministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz: Süchtig nach digitalen Welten.
URL: https://www.sozialministerium.at/Themen/Gesundheit/Drogen-und-Sucht/Berichte-und-Statistiken.html [Stand: 20.01.2022].

16 Vgl. Bundesministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz: Süchtig nach digitalen Welten.
URL: https://www.sozialministerium.at/Themen/Gesundheit/Drogen-und-Sucht/Berichte-und-Statistiken.html [Stand: 20.01.2022].

17 Haruna, Hadija: „Nur an den Nutzungszeiten kann man es nicht festmachen“. In: tagesspiegel.de.
URL: https://www.tagesspiegel.de/gesellschaft/medien/interview-zu-internet-sucht-nur-an-den-nutzungszeiten-kann-man-es-nicht-festmachen/5942554.html [Stand: 20.01.2022].

18 Vgl. Bundesministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz: Süchtig nach digitalen Welten.
URL: https://www.sozialministerium.at/Themen/Gesundheit/Drogen-und-Sucht/Berichte-und-Statistiken.html [Stand: 20.01.2022].

19 Vgl. Poelchau, Nina: Wir zocken und surfen – und sind süchtig. Über die gefährliche Macht der digitalen Welt.
URL: https://www.stern.de/gesundheit/psychologie/internetsucht–was-digitale-medien-attraktiv-und-so-gefaehrlich-macht-8502852.html [Stand: 20.01.2022].

20 Vgl. Öffentliches Gesundheitsportal Österreichs: Internetsucht.
URL: https://www.gesundheit.gv.at/krankheiten/sucht/internetsucht [Stand: 20.01.2022].

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Veröffentlicht am: 16.02.2022