Das Phänomen Musik als emotionales Erlebnis

 

Musik dient mittlerweile nicht mehr nur der bloßen Unterhaltung, sondern kommt auch in der Behandlung von diversen körperlichen und psychischen Krankheitsbildern immer öfter zum Einsatz – mit Erfolg.

Wir lassen uns von sanften Melodien berieseln, um zu entspannen, motivieren uns mit schnellen rhythmischen Klängen beim Sport oder lauschen klagenden Tönen, die unsere traurigen Emotionen widerspiegeln. Denn Musik bewegt uns stets emotional, lässt uns niemals gleichgültig und hat die Eigenschaft, unsere Laune zu heben oder zu senken. Und das Phänomen, dass Musik unsere Stimmung reguliert und vornehmlich auch jenes Musikgenre gehört wird, welches den aktuellen Gefühlen entspricht, konnte mittlerweile auch durch Studien belegt werden.1

Der Einfluss von Musik auf Körper und Geist

Während wir nämlich einer Melodie lauschen, reagiert unser Körper intensiv auf die verschiedensten Tonabfolgen. Je nach Art des Gehörten verändert sich der Herzschlag, der Blutdruck, die Atemfrequenz sowie die allgemeine Muskelspannung.2 So soll klassische Musik beispielsweise die Konzentration und die Kreativität fördern, eine wirkungsvolle Einschlafhilfe sein und auch schmerzreduzierende Eigenschaften mit sich bringen.3 Genres wie Heavy Metal oder Technomusik mögen hingegen zwar beim Abbau von Frustration oder Aggression helfen, können aber gleichzeitig auch für eine vermehrte Adrenalin-Ausschüttung verantwortlich sein und damit auch für die Produktion von Stresshormonen.4

Nicht nur das Hören von wohltuenden Klängen fördert demnach unser Wohlbefinden; auch das Singen hat ähnlich positive Einflüsse auf Körper und Seele: Die Produktion von Stresshormonen reduziert sich, gleichzeitig werden Botenstoffe wie Dopamin und Serotonin freigesetzt, sodass Glücksgefühle entstehen.5

Somit hat Musik eine zweifellos intensive Wirkung auf uns, weswegen es auch nicht verwunderlich scheint, dass sie mittlerweile als ergänzende Therapieform zu zahlreichen Behandlungen von physischen und psychischen Krankheiten zur Anwendung kommt.

Musik bringt das Innerste zum Vorschein.

Musik besitzt nämlich auch die Eigenschaft, sich bewusst an Vergangenes erinnern zu können, denn mit bestimmten Melodien werden Assoziationen zu Erlebnissen oder zu Personen hergestellt. Gleichzeitig verknüpfen wir damit bestimmte Emotionen und Stimmungslagen,6 wie auch die Schweizer Musik- und Psychotherapeutin Sandra Lutz Hochreutener weiß: „Dank Musik kommt man mit eigenen Gefühlen in Kontakt“, womit es auch möglich wird, scheinbar Vergessenes wieder zu vergegenwärtigen.

Aber nicht nur Erinnerungen an schöne Urlaubsmomente oder das Beisammensein mit Freund*innen, sondern auch negative und verdrängte Ereignisse können mithilfe von Musik wieder greifbar gemacht werden. So kann Musik in weiterer Folge beispielsweise bei der Traumatherapie dabei helfen, Schicksalsschläge, Trauer und persönliche Verluste sowie Gewalt und (sexuellen) Missbrauch aufzuarbeiten. Oftmals bewirken solche einschneidenden Erlebnisse nämlich eine Art von Sprachlosigkeit, die auf Scham beruht, weswegen sie häufig verdrängt werden. Mithilfe von Musik können dabei scheinbar verborgene Emotionen das Trauma betreffend wieder wahrgenommen und schließlich verarbeitet werden.7

Die Musiktherapie als wirkungsvolle Begleitmaßnahme zu gängigen Behandlungen

Neben der Traumatherapie wird Musik begleitend zu zahlreichen weiteren Therapiemaßnahmen eingesetzt. Weil Musik aber auch die Gefahr einer Verschlechterung des Krankheitsbildes mit sich bringt, beispielsweise durch ihren Einsatz während einer akuten Psychose einer/eines Patient*in,8 sind „für die sachkundige Anwendung von Musiktherapie […] hoch qualifizierte Therapeuten erforderlich“9, wie Lutz Neugebauer, Psychotherapeut für Kinder und Jugendliche sowie Musiktherapeut, betont.

Da Musiktherapie gemäß offizieller Definition der Deutschen Musiktherapeutischen Gesellschaft den „gezielte[n] Einsatz von Musik im Rahmen der therapeutischen Beziehung zur Wiederherstellung, Erhalt und Förderung seelischer, körperlicher und geistiger Gesundheit“10 darstellt, findet sie bevorzugt dann Anwendung, wenn Patient*innen sich sprachlich nicht oder nur sehr eingeschränkt ausdrücken können. Mit ihrer Hilfe und breiten Wirkungsweise vermag sie nämlich, wesentlich zum Genesungsprozess beizutragen.

Einsatzgebiete der Musiktherapie

Neben der bereits erwähnten Traumatherapie wird sie so beispielsweise auch bei der Behandlung von psychischen Erkrankungen herangezogen. Betroffene können in vielen Fällen ihr persönliches Empfinden nur schwer in Worte fassen, beispielsweise Menschen mit Angst- oder Wahrnehmungsstörungen, Depressionen oder kognitiven Störungen. Durch Musik und ihren gezielten Einsatz soll dabei die Ausdrucks- und Wahrnehmungsfähigkeit gefördert werden. Auch bei psychosomatischen Störungen wie Rücken- oder Kopfschmerzen wirkt Musik positiv, denn durch sie können psychische Ursachen für die Schmerzsymptomatik wie ungelöste Konflikte aufgearbeitet und schließlich auch benannt werden. Weiters wird Musik als unterstützende therapeutische Maßnahme bei Krebserkrankungen, neurologischen Erkrankungen wie Schlaganfall, Alzheimer oder Schädel-Hirn-Trauma oder bei Autismus eingesetzt. Vor allem bei letzterem Krankheitsbild soll Musik die sprachlichen und sozialen Kompetenzen fördern sowie eine generelle Interaktion erleichtern, da Betroffene häufig unter eingeschränkten Sprachfähigkeiten leiden.11

Innere Vorgänge sichtbar machen und Kommunikation ermöglichen

Sowohl das passive Zuhören als auch das aktive Musizieren mit Instrumenten,12 welche unter Berücksichtigung der persönlichen Bedürfnisse der/des Patient*in ausgewählt werden und ohne Vorkenntnisse bespielbar sind,13 sind Teil musiktherapeutischer Maßnahmen, um Verdrängtes bzw. verborgene Emotionen hervorzubringen sowie um die Kommunikationsfähigkeit anzuregen. Musiktherapeut*innen verfolgen dabei ein vorab festgelegtes und auf die/den Patient*in individuell abgestimmtes Konzept. Von besonderer Wichtigkeit ist dabei die Beziehung zwischen Therapeut*in und Patient*in, welche auf Stabilität und Vertrauen basieren muss,14 denn primäres Ziel ist vor allem die emotionale Beteiligung der Patient*innen.15 Erst dann kann die Musiktherapie als Begleitmaßnahme auch entsprechend zu mehr Wohlbefinden bzw. zur Genesung im Allgemeinen beitragen.

Gemäß den Ausführungen stellt Musik nicht mehr nur ein bloßes Unterhaltungsmedium zur Untermalung von Tätigkeiten im Alltag dar, sondern besitzt die Fähigkeit, verborgene Vorgänge im Inneren freizulegen und zur Symptomlinderung bzw. Heilung von Krankheiten im Rahmen einer Therapie beizutragen. Aber auch abseits von ihrem Einsatz zur Behandlung diverser Leiden und Erkrankungen vermag die Musik, das allgemeine Wohlbefinden intensiv zu steigern und uns tief zu berühren. Sie entspannt uns, macht uns glücklich, kann uns aber auch traurig stimmen, uns aufwühlen und damit aufs Gemüt drücken. Und so wird auch deutlich: Musik bedient sich der gesamten Bandbreite an Emotionen und kann niemals wahrgenommen werden, ohne gleichzeitig bestimmte Gefühle hervorzurufen.

 


1 Vgl. BR Wissen: Musik und Emotion. In: br.de. Veröffentlicht am 01.03.2021.
URL: https://www.br.de/wissen/musik-forschung-psychologie-100.html [Stand: 11.08.2021].

2 Vgl. Butt, Salim: Macht der Musik. In: planet-wissen.de. Aktualisiert am 23.07.2019.
URL: https://www.planet-wissen.de/kultur/musik/macht_der_musik/index.html [Stand: 11.08.2021].

3 Vgl. o.A.: Klassische Musik heilt. In: süddeutsche.de. Veröffentlicht am 17.05.2010.
URL: https://www.sueddeutsche.de/leben/musiktherapie-klassische-musik-heilt-1.150630 [Stand: 11.08.2021].

4 Vgl. Butt, Salim: Macht der Musik
URL: https://www.planet-wissen.de/kultur/musik/macht_der_musik/index.html [Stand: 11.08.2021].

5 Vgl. Wernitznig, Kornelia: Heilende Kraft: Singen ist gesund. In: meinegesundheit.at. Veröffentlicht am 13.11.2020.
URL: https://www.meinegesundheit.at/cdscontent/?contentid=10007.689899 [Stand: 11.08.2021].

6 Vgl. Oehninger, Jürg: Die Macht der Musik hilft bei psychischen Problemen. In: srf.ch. Veröffentlicht am 12.05.2021.
URL: https://www.srf.ch/radio-srf-1/radio-srf-1/wie-uns-musik-heilen-kann-die-macht-der-musik-hilft-bei-psychischen-problemen [Stand: 11.08.2021].

7 Vgl. Simhofer, Doris: Musiktherapie. In: minimed.at. Veröffentlicht am 18.12.2013.
URL: https://www.minimed.at/medizinische-themen/psyche/musiktherapie/ [Stand: 11.08.2021].

8 Vgl. Simhofer, Doris: Musiktherapie.
URL: https://www.minimed.at/medizinische-themen/psyche/musiktherapie/ [Stand: 11.08.2021].

9 Abel-Wanek, Ulrike: Der gute Ton. In: pharmazeutische-zeitung.de. Veröffentlicht am 24.01.2018.
URL: https://www.pharmazeutische-zeitung.de/ausgabe-042018/der-gute-ton/ [Stand: 11.08.2021].

10 Deutsche Musiktherapeutische Gesellschaft: Definition.
URL: https://www.musiktherapie.de/musiktherapie/was-ist-musiktherapie/ [Stand: 11.08.2021].

11 Vgl. Simhofer, Doris: Musiktherapie.
URL: https://www.minimed.at/medizinische-themen/psyche/musiktherapie/ [Stand: 11.08.2021].

12 Vgl. Simhofer, Doris: Musiktherapie.
URL: https://www.minimed.at/medizinische-themen/psyche/musiktherapie/ [Stand: 11.08.2021].

13 Vgl. Österreichischer Berufsverband der MusiktherapeutInnen: Musiktherapie.
URL: https://www.oebm.org/musiktherapie/ [Stand: 11.08.2021].

14 Simhofer, Doris: Musiktherapie.
URL: https://www.minimed.at/medizinische-themen/psyche/musiktherapie/ [Stand: 11.08.2021].

15 Vgl. Österreichischer Berufsverband der MusiktherapeutInnen: Musiktherapie.
URL: https://www.oebm.org/musiktherapie/ [Stand: 11.08.2021].

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Veröffentlicht am: 06.10.2021