Allumfassende Angst als psychisches Störungsbild

 

Ein gesundes Maß an Respekt in gewissen Situationen hilft dabei, den Tag bestmöglich zu bestreiten. Doch wenn allgemeine Sorgen in Furcht und schließlich in Angst und Panik umschlagen, ist professionelle Hilfe dringend notwendig.

Ein wichtiger Termin am nächsten Morgen – und wir kontrollieren mehrfach den Wecker, weil wir Angst davor haben, zu verschlafen. Oder wird sind unruhig und ängstlich, weil wir in eine fremde Stadt umziehen, die Wege nicht kennen und über kein soziales Netzwerk vor Ort verfügen. Beklemmende Zustände dieser Art begleiten uns das ganze Leben hindurch und ein gewisses Maß an Ängstlichkeit schützt uns speziell in gefährlichen Situationen: „Grundsätzlich ist Angst etwas Gesundes. Hätten wir nicht die Veranlagung zur Angst in uns, dann gäbe es uns – und alle anderen Säugetiere – nicht“1, so der deutsche Therapeut Thomas Wilhelm. Im Moment größter Angst schütten wir nämlich das Stresshormon Adrenalin aus, welches zahlreiche Körperfunktionen beschleunigt, so beispielsweise unsere Reaktionsfähigkeit oder Wachsamkeit.2 Dieser Angstzustand stellt in der Regel eine vorübergehende Gefühlsregung dar, welche dabei hilft, reale Gefahren zu meistern.3 Doch Angst kann auch ständiger Begleiter sein und sich als psychische Krankheit manifestieren.

Angst und Panik als chronischer Zustand

Von Angst als Krankheitsbild – der sogenannten Angststörung – wird dann gesprochen, wenn „es keinen erkennbaren Auslöser“4 für den Angstzustand gebe, so Wilhelm erklärend. „Es handelt sich um eine situations- oder objektbezogene Angst. In der Regel geht keine reale Gefahr von dem auslösenden Objekt aus“5, wie Wilhelm näher ausführt.

Alleine in Österreich leiden ca. 5 bis 15 % der Bevölkerung mindestens einmal im Leben an einer Angststörung; Frauen sind davon wesentlich häufiger betroffen als Männer.6 Angenommen wird, dass verschiedene Risikofaktoren für die Entwicklung des Störungsbildes verantwortlich sein können:7

  • Genetische Faktoren
    Es besteht ein größeres Risiko, die Störung zu entwickeln, wenn bereits eine familiäre Vorbelastung gegeben ist.
  • Auffällige Veränderungen im Gehirn bzw. in gewissen Gehirnregionen
  • Störung des Hormonhaushaltes
    Eine vermehrte Ausschüttung von Stresshormonen wie Adrenalin oder Cortisol kann Angststörungen begünstigen.
  • Innere Unruhe
    Konflikte oder Lebenskrisen können ebenso Ängste schüren.
  • Erlernte Denk- und Verhaltensmuster
    Zeigen nahestehende Personen ein bestimmtes Vermeidungs- oder Angstverhalten, könnte dies dazu führen, dass man entsprechende Ängste automatisch übernimmt.

Verschiedene Formen einer Angststörung

Für eine erfolgreiche Behandlung von Angststörungen ist es zunächst vonnöten, herauszufinden, worauf die Ängste beruhen bzw. was ängstliche Phasen auslöst. Deswegen untergliedert man Angststörungen in die folgenden Arten:8

  • Generalisierte Angststörung
    Bei dieser Form leiden Betroffene andauernd unter Ängsten den Alltag bzw. die Zukunft betreffend. Häufig tritt die generalisierte Angststörung in Kombination mit anderen psychischen Erkrankungen auf, beispielsweise mit Depressionen oder Abhängigkeiten. Symptome wie ständige innerliche Anspannung, Konzentrationsschwierigkeiten, Schlaflosigkeit oder Muskelverspannungen sind typisch für die generalisierte Angststörung.
  • Panikstörung/Panikattacken
    Diese Störungsform führt zu einer plötzlich auftretenden großen Angst, die zwischen 10 und 30 Minuten andauern kann. Betroffene werden von ihr zumeist überrascht, da Panik in jeder Situation und überall entstehen kann. Symptome wie Herzrasen, Atemnot und ein Engegefühl in der Brust genauso wie Schwindel, Zittern oder Übelkeit treten in einer Akutphase auf.
  • Spezifische Phobie
    Bei dieser Art der Störung richtet sich die Angst auf ein konkretes Objekt bzw. auf eine konkrete Situation, beispielsweise Flug- oder Höhenangst wie auch die Angst vor Spinnen oder vor engen Räumen etc.
  • Soziale Phobie
    Hierbei sind Betroffene in ihrem Sozialleben aufgrund der Angst, mit anderen Menschen zusammenzutreffen, massiv eingeschränkt. Situationen wie das Einnehmen von Mahlzeiten in Gesellschaft oder das Sprechen in der Öffentlichkeit, Menschenansammlungen oder die Verrichtung von Arbeiten, bei denen man beobachtet wird, lösen entsprechende Angstzustände aus.

Menschen mit einer Angststörung sind in ihrem Leben zumeist stark eingeschränkt, wie die deutsche Psychotherapeutin Annette Allgöwer weiß: „Mich haben schon Menschen angerufen und gefragt, ob ich zur Therapie zu ihnen nach Hause kommen kann, weil sie nicht mehr vor die Tür gehen können“9. Die Angst könne zu einem kompletten Kontrollverlust führen, welcher bei Betroffenen das dauerhafte Gefühl von einer Art ‚Lähmung‘ verursache und auf alle Lebensbereiche übergreife, wie Allgöwer weiter ausführt.10

Angststörungen erfordern psychotherapeutische Maßnahmen

Von daher ist es unabdingbar, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Da die Symptome einer Angststörung auch auf eine körperliche Erkrankung hinweisen können, sollte zunächst die/der Hausärzt*in aufgesucht werden. Nach Ausschluss einer physischen Ursache für die Ängste kann diese*r sodann dabei behilflich sein, die richtige Anlaufstelle zu finden. Zumeist sind dies Fachärzt*innen für Psychiatrie, Psychotherapeut*innen oder Ärzt*innen mit Weiterbildung in psychotherapeutischer Medizin. Auch klinische Psycholog*innen können bei der Diagnose bzw. Behandlung zurate gezogen werden.11

Für die Behandlung von Angststörungen kommen häufig Antidepressiva zum Einsatz ebenso wie Beruhigungsmittel, die aber aufgrund ihres Abhängigkeitspotenzials nur unter ärztlicher Aufsicht eingenommen werden sollten. Als besonders erfolgreich erwiesen hat sich die Psychotherapie, dabei speziell verhaltenstherapeutische Ansätze. Im Zuge der Therapie lernen Betroffene zum einen, mit der Erkrankung besser umzugehen, und eignen sich dabei entsprechende Hilfsmechanismen an, um sich auch selbst helfen zu können.12 Zum anderen wird auch an den durch die Angst entstandenen Verhaltensmustern gearbeitet. Häufig vermeiden Betroffene nämlich Situationen, die die Angst auslösen können, wodurch sich das Krankheitsbild nur verschlechtert, wie Allgöwer erläutert: „Die Angst wächst dann, wird mächtiger. Besser ist die Konfrontation. Der Patient kann sich der Angst gewahr werden, kann sie beobachten und mit allen Sinnen durchschreiten“13. In diesem Fall gilt es also, sich der Angst zu stellen: „So wird das Adrenalin nach und nach abgebaut und der Angstlevel sinkt“14, wie Wilhelm ergänzt.

Neben psychotherapeutischen Maßnahmen haben sich auch weitere Möglichkeiten für einen besseren Umgang mit der Angst bewährt, nämlich regelmäßige Sport- und Bewegungseinheit, durch welche Stresshormone effektiv abgebaut werden, und auch Entspannungsverfahren wie Autogenes Training oder die Progressive Muskelentspannung werden empfohlen. Nicht zuletzt ist es wichtig, über die Ängste zu sprechen, weswegen abseits der Psychotherapie auch Selbsthilfegruppen unterstützende Hilfestellungen bieten.15

Dass wir im Alltag von Ängsten und Sorgen immerfort begleitet werden, entspricht dem Normalfall. Schränken diese jedoch unser Verhalten gemäß den Ausführungen massiv ein, bis die Angst schließlich allumfassend wird, so muss dringend medizinisch-therapeutische Hilfe in Anspruch genommen werden. Speziell im Zuge einer Psychotherapie können vermeidende Muster bekämpft und Strategien zur Reduktion von Ängsten angeeignet werden, die schlussendlich dabei behilflich sind, Ängste und Sorgen auf ein Normalmaß zu minimieren.

 


1 Fehrer, Felicitas: Interview: Der Weg aus der Angst. In: sr.de. Veröffentlicht am 21.02.2018.
URL: https://www.sr.de/sr/home/nachrichten/panorama/angst_reiki_wilhelm102.html [Stand: 23.02.2022].

2 Vgl. Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG): Generalisierte Angststörung. In: gesundheitsinformation.de. Aktualisiert am 16.06.2021.
URL: https://www.gesundheitsinformation.de/generalisierte-angststoerung.html [Stand: 23.02.2022].

3 Vgl. Althoetmar, Kai: Angst. In: planet-wissen.de. Veröffentlicht am 05.10.2020.
URL: https://www.planet-wissen.de/gesellschaft/psychologie/angst/index.html [Stand: 23.02.2022].

4 Fehrer, Felicitas: Interview: Der Weg aus der Angst.
URL: https://www.sr.de/sr/home/nachrichten/panorama/angst_reiki_wilhelm102.html [Stand: 23.02.2022].

5 Fehrer, Felicitas: Interview: Der Weg aus der Angst.
URL: https://www.sr.de/sr/home/nachrichten/panorama/angst_reiki_wilhelm102.html [Stand: 23.02.2022].

6 Vgl. Richter, Claudia: Angststörung (Phobie). In: minimed.at. Veröffentlicht am 25.04.2017.
URL: https://www.minimed.at/medizinische-themen/psyche/angststoerung/ [Stand: 23.02.2022].

7 Vgl. Öffentliches Gesundheitsportal Österreichs: Angststörung. Aktualisiert am 06.12.2021.
URL: https://www.gesundheit.gv.at/krankheiten/psyche/neurose/angststoerung-diagnose [Stand: 24.02.2022].

8 Vgl. Öffentliches Gesundheitsportal Österreichs: Angststörung. Aktualisiert am 06.12.2021.
URL: https://www.gesundheit.gv.at/krankheiten/psyche/neurose/angststoerung-diagnose [Stand: 24.02.2022] und vgl. Richter, Claudia: Angststörung (Phobie). URL: https://www.minimed.at/medizinische-themen/psyche/angststoerung/ [Stand: 23.02.2022].

9 Höhn, Tim: Wenn die Angst das Leben frisst. In: stuttgarter-zeitung.de. Veröffentlicht am 18.12.2018.
URL: https://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.interview-mit-psychotherapeutin-und-autorin-wenn-die-angst-das-leben-frisst.27936e4e-28fc-4d6b-8186-088b30d55b9b.html [Stand: 24.02.2022].

10 Vgl. Höhn, Tim: Wenn die Angst das Leben frisst.
URL: https://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.interview-mit-psychotherapeutin-und-autorin-wenn-die-angst-das-leben-frisst.27936e4e-28fc-4d6b-8186-088b30d55b9b.html [Stand: 24.02.2022].

11 Vgl. Öffentliches Gesundheitsportal Österreichs: Angststörung. Aktualisiert am 06.12.2021.
URL: https://www.gesundheit.gv.at/krankheiten/psyche/neurose/angststoerung-diagnose [Stand: 24.02.2022].

12 Vgl. Öffentliches Gesundheitsportal Österreichs: Angststörung. Aktualisiert am 06.12.2021.
URL: https://www.gesundheit.gv.at/krankheiten/psyche/neurose/angststoerung-diagnose [Stand: 24.02.2022].

13 Höhn, Tim: Wenn die Angst das Leben frisst.
URL: https://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.interview-mit-psychotherapeutin-und-autorin-wenn-die-angst-das-leben-frisst.27936e4e-28fc-4d6b-8186-088b30d55b9b.html [Stand: 24.02.2022].

14 Fehrer, Felicitas: Interview: Der Weg aus der Angst.
URL: https://www.sr.de/sr/home/nachrichten/panorama/angst_reiki_wilhelm102.html [Stand: 23.02.2022].

15 Vgl. Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG): Generalisierte Angststörung.
URL: https://www.gesundheitsinformation.de/generalisierte-angststoerung.html [Stand: 23.02.2022].

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Veröffentlicht am: 23.03.2022