Alleinsein vs. Einsamkeit: Eine Standortbestimmung für die Psyche

 

Genießen wir die Zeit mit uns alleine oder fühlen wir uns in unserem Alleinsein einsam? Diese Frage stellt sich gerade jetzt im Lockdown und in der nahenden Vorweihnachtszeit.

Die besinnlichste Zeit im Jahr steht schon kurz bevor und wird von einem Faktum begleitet: Wir feiern das Weihnachtsfest heuer anders als sonst. Denn die Corona-Krise verhindert auch zu den höchsten Feiertagen große Familienzusammentreffen und Festivitäten im Kreis der engsten Vertrauten.

Ein Weihnachtsfest ohne die Gesellschaft der wichtigsten Personen in unserem Leben – für viele eine nicht vorstellbare Situation. Doch dabei wird auch oftmals vergessen, dass genauso viele die Feiertage bereits geplant alleine verbringen. Ob nun aus einem Bedürfnis heraus, die Feiertage ruhig und mit sich selbst zelebrieren zu wollen, oder wegen Lebensumstände, die ein Zusammensein mit anderen nicht möglich machen – Weihnachten ist für Menschen, die alleine sind, entweder eine Zeit zum Durchatmen oder eine Zeit, in welcher die Einsamkeit am größten ist.

Wo liegt jedoch der eigentliche Unterschied zwischen dem Alleinsein und der Einsamkeit? Ist man bereits einsam, wenn man alleine ist, oder kann man auch einsam sein, ohne allein zu sein?

Gehen wir der Terminologie zunächst auf den Grund: Gemäß dem amerikanischen Einsamkeitsforscher John Cacioppo haben beide Begrifflichkeiten nichts gemein und seien deswegen streng voneinander zu unterscheiden. Einsamkeit hänge nämlich nicht mit Personen direkt zusammen, sondern beschreibe ein Gefühl in uns selbst, welches wir verspüren, auch wenn wir von Menschen umgeben seien. Es entstehe jedoch, wenn wir von den anwesenden Menschen wenig oder gar nicht wahrgenommen oder beachtet werden, keine Anerkennung von ihnen erhalten und im Generellen nicht gebraucht werden. Somit beziehe sich die Einsamkeit auf die allgemeinen Beziehungsgefüge in unserem Leben.1

Das Gefühl der Einsamkeit kann langfristig andauern, aber auch nur momentane Situationen betreffen wie beispielsweise das Antreten einer neuen Arbeitsstelle in einem Unternehmen, in welchem man noch niemandem kennt, oder der Auszug des Kindes, der einem erst durch den Blick in das Kinderzimmer wirklich bewusst wird.2 „Niemand von uns ist immun gegen das Gefühl, isoliert zu sein, genauso wenig wie wir immun sind gegen Hungergefühle oder Schmerz“3, so Cacioppo.

Demgegenüber steht nun das Alleinsein, und das bedeutet nicht, dass man diesen Zustand nicht genießen kann, im Gegenteil: Viele Menschen empfinden des Öfteren sogar Glück und Zufriedenheit, wenn sie mit sich alleine sein können. Sie nehmen sich dabei bewusst Zeit für sich selbst und verbringen diese entweder mit Aktivitäten oder mit geplanten Momenten der Auszeit, um zur Ruhe zu kommen.4

Damit ist die Einsamkeit eine Empfindung, die jede und jeder von uns erlebt, aber auch der Zustand des Alleinseins kann Menschen glücklich und zufrieden machen. Das dauerhafte Alleinsein führt jedoch auch zu einem Rückzug von sozialen Kontakten, was wiederum ein Gefühl der Einsamkeit hervorrufen kann, denn, wie bereits erwähnt, vermissen wir dabei sodann irgendwann die Aufmerksamkeit und Anerkennung der Personen. Immerhin wollen wir auch von unserem Mitmenschen beachtet werden.

Auf Dauer kann Einsamkeit nämlich krank machen.

Wir sind trotz des manchmal auftretenden Bedürfnisses nach dem Alleinsein von Begegnungen mit anderen abhängig und hoffen auf Unterstützung unserer sozialen Umwelt.5 Fehlt uns dies langfristig, so kann das Gefühl der Einsamkeit auch eine enorme psychische Belastung darstellen und schließlich auch durch körperliche Symptome wie erhöhten Blutdruck oder durch Schlafstörungen zum Ausdruck kommen. Und hinsichtlich unserer Psyche kann anhaltende Einsamkeit in eine psychische Erkrankung münden.6

Wie können wir der Einsamkeit nun aber aktiv entgegensteuern?

Reflektieren wir zunächst, warum uns das Gefühl der Einsamkeit begleitet: Liegt es daran, dass wir uns bewusst von anderen Menschen zurückziehen und damit auch unsere sozialen Kontakte vernachlässigen? Trifft dies zu, so liegt es an uns selbst, dem entgegenzuwirken. Motivieren wir uns, unser Netzwerk zu pflegen und Beziehungen wieder aufzubauen bzw. zu stärken.

Es kann aber natürlich auch sein, dass wir einsam sind, weil wir einfach niemanden haben, dem wir uns zugehörig fühlen, und uns damit keiner Person anvertrauen können. Dies kann natürlich auch dazu führen, keinen Ausweg aus der Einsamkeit zu finden.

Wie bereits angesprochen können wir aber selbst etwas gegen unsere Einsamkeit tun. Und neben dem (Wieder-)Aufbau und der Pflege unserer sozialen Kontakte gibt es einige Tipps, die uns dabei helfen:7

  • Für sich selbst sorgen und auf sich Acht geben
    Wenn wir nämlich auch uns selbst in den Fokus rücken und uns etwas Gutes tun, stellt sich ein befriedigendes Gefühl ein. Dies kann einerseits entspannende, andererseits auch aktive Phasen umfassen. Und vielleicht finden wir dabei auch eine andere Person, die dabei mitmachen möchte.
  • Auf andere zugehen, ihnen Interesse signalisieren und dabei authentisch bleiben
    Was sehr einfach klingt, stellt jedoch auch meistens eine große Herausforderung dar. Denn auf andere Personen zuzugehen, ist oft mit der Angst verbunden, zurückgewiesen zu werden. Einen Rückschlag dahin gehend dürfen wir nicht persönlich nehmen, denn für den Wunsch, eine Bekanntschaft nicht vertiefen zu wollen, kann es vielfältige Gründe geben, die nicht zwingend etwas mit uns zu tun haben müssen. Wenn wir jedoch mit anderen ins Gespräch kommen wollen, ist es wichtig, dass wir uns aktiv an der Konversation beteiligen, indem wir auch Interesse am Gegenüber zeigen und beispielsweise Blinkkontakt halten. Dies bedeutet jedoch nicht, dass wir uns selbst zurücknehmen müssen; wir dürfen auch etwas von uns preisgeben, um Gespräche zu vertiefen und um sich besser kennenzulernen. Vergessen dürfen wir dabei jedoch nicht auf unsere eigene Authentizität. Wenn wir uns verstellen, weil wir meinen, dem oder der anderen so besser zu gefallen, verlieren wir nicht nur einen Teil unserer Persönlichkeit, sondern wirken auch nicht ‚echt‘, was zu Missverständnissen und schlussendlich zu Enttäuschung führen kann.
  • Aktivitäten in der Umgebung suchen und an ihnen teilnehmen
    Dies hat nämlich gleich zwei wesentliche Vorteile: Wenn wir uns beispielsweise in Vereinen in unserer Umgebung engagieren (beispielsweise im Sportverein oder in einem Senior*innenclub) oder Nachbarschaftshilfe leisten, stärken wir nicht nur unser eigenes Wohlbefinden und tun das, was uns Spaß macht, sondern lernen dabei auch gleichzeitig neue Menschen kennen.

Setzen wir diese und noch weitere hilfreiche Tipps gegen Einsamkeit8 um, dann führt dies unweigerlich dazu, bestehende Kontakte zu vertiefen und neue zu knüpfen. Wesentlich ist, dass wir uns selbst treu bleiben und nichts tun, was uns widerstrebt oder unseren Interessen nicht entspricht. Mit etwas Geduld und unter Einbeziehung der eben erwähnten Ratschläge ist es möglich, aktiv gegen Einsamkeit vorzugehen. Und dadurch können wir auch den zwischenzeitlich notwendigen Zustand des Alleinseins umso mehr genießen, weil wir wissen, dass wir uns um uns selbst und um unsere Mitmenschen kümmern.

Seien wir also gerne mit uns alleine und schöpfen wir daraus Kraft, aber engagieren wir uns auch gleichermaßen für die gemeinsame Zeit mit anderen Menschen!

 


1 Vgl. Jimenez, Fanny: Was Alleinsein von Einsamkeit unterscheidet. In: WeLT. Veröffentlicht am 01.12.2013.
URL: https://www.welt.de/gesundheit/psychologie/article122448909/Was-Alleinsein-von-Einsamkeit-unterscheidet.html [Stand: 30.10.2020].

2 Vgl. Jimenez, Fanny: Was Alleinsein von Einsamkeit unterscheidet.
URL: https://www.welt.de/gesundheit/psychologie/article122448909/Was-Alleinsein-von-Einsamkeit-unterscheidet.html [Stand: 30.10.2020].

3 Jimenez, Fanny: Was Alleinsein von Einsamkeit unterscheidet.
URL: https://www.welt.de/gesundheit/psychologie/article122448909/Was-Alleinsein-von-Einsamkeit-unterscheidet.html [Stand: 30.10.2020].

4 Vgl. Öffentliches Gesundheitsportal Österreichs: Einsamkeit bewältigen. Zuletzt aktualisiert am 11.12.2018.
URL: https://www.gesundheit.gv.at/leben/lebenswelt/soziale-netzwerke/soziale-beziehungen/einsamkeit-ursachen-bewaeltigung [Stand: 30.10.2020].

5 Vgl. Interview: Was sind die psychischen Spätfolgen der Coronakrise? Psychiater Michael Lehofer und Apothekerin Alexandra Mandl klären im Gesundheitstalk über die Folgen der Coronapandemie auf unsere Psyche auf. In: Kleine Zeitung. Veröffentlicht am 20.10.2020.
URL: https://www.kleinezeitung.at/lebensart/5883341/Experten-im-Livestream_Was-sind-die-psychischen-Spaetfolgen-der?fbclid=IwAR0xSL13-pAeLUDPe4Y3m_sCcfrlSAaiAsVk3IOd_VLma2659evt-Y1Zw7g [Stand: 30.10.2020].

6 Vgl. Öffentliches Gesundheitsportal Österreichs: Einsamkeit bewältigen.
URL: https://www.gesundheit.gv.at/leben/lebenswelt/soziale-netzwerke/soziale-beziehungen/einsamkeit-ursachen-bewaeltigung [Stand: 30.10.2020].

7 Vgl. Öffentliches Gesundheitsportal Österreichs: Einsamkeit bewältigen.
URL: https://www.gesundheit.gv.at/leben/lebenswelt/soziale-netzwerke/soziale-beziehungen/einsamkeit-ursachen-bewaeltigung [Stand: 02.11.2020].

8 Für zusätzliche Hilfestellungen und Ratschläge finden Sie unter https://www.gesundheit.gv.at/leben/lebenswelt/soziale-netzwerke/soziale-beziehungen/einsamkeit-ursachen-bewaeltigung noch eine detaillierte Auflistung, wie Sie aktiv gegen Einsamkeit vorgehen können.

Bildhinweis: Adobe Stock

Veröffentlicht am: 25.11.2020